Lehrer, Leere, Liebe - Platten aus Hamburg

Gazelle - Time will tell

Marina Records/Indigo

Gazellen kennt man gemeinhin aus Tierfilmen, mit denen die öffentlich-rechtlichen Sender einen Hauch Exotik in die abgeschiedenen Winkel der Republik brachten. Das lief dann immer nach dem beliebten Schema ab: Die Gazelle grast stumpfsinnig ein paar Halme in der Steppe ab; doch ein jagender Tiger bringt rasende Bewegung in die flirrende Luft. Mit solchen Filmen mag auch das Sextett aus Glasgow, das jetzt beim Hamburger Marina Records Label sein Debut veröffentlichte, in der Jugend gefüttert worden sein. Jedenfalls haben sie jene Choreographie zwischen Kontemplation und angstvoller Flucht gefressen, schreiben gewissermaßen den Soundtrack zu Heinz Sielmann und Konsorten. Bereits der Opener rennt nach einem Bongo-Intro los was das Zeug hält, um dann in „Where Did I Go Wrong“ die Trauer am Ende doch siegen zu lassen. „Mistakes Of Human Nature“ variiert das Thema des Scheiterns dann auf menschliche Belange hin, fächert dazu einen luftig gequirlten Bossa Nova der 60er auf. Am Ende wird dann von Soulsister Eleana J gar in epischer Breite das gutgläubige „der Hergott wirds schon richten“ gegen das fortwährende innere Sterben angestimmt. Gazelle kreuzen geschickt Latin mit Errungenschaften des Dancefloors. Das Ergebnis ist unaufdringlicher, unverbrauchter Pop. Jedoch torkelt immer wieder unsägliches Gitarrengegniedel in die gewieften Tempowechsel und schneidet barsch die Fluchtwege ab. Volker Marquardt

Mastino - Heimatfront

L'Age D'Or/EWM

Es gibt einige deutsche Musiker, die mühen sich immer noch wortreich an der Political Correctness. Horst Petersen alias Mastino gehört hierzu. Ihn plagt das deutsche Gewissen und in expressionistischer Manier versucht Petersen, Schuld und Wahrheit in Asphalt-Poesie zu pressen. Daß dabei immer ein schiefes Bild gezeichnet wird, ist das Problem aller selbstberufenen Wanderpropheten, die meinen, die Schwere von Worten wie Mord, Front, Heimat, Totschlag sowie die maßlose Vergräßlichung realer Zustände erreiche sozusagen konsularisch die tiefsten Gefühle des Hörers und führe dort zu bewußtseinsschärfender Betroffenheit. Leider alles Quatsch. Wer nicht scharf beobachtet und klug beschreibt erreicht nur die Phrasendrescher und Denkzeitlosen. Das ist der Unterschied zwischen Bob Dylan und Wolfgang Niedecken oder Nick Cave und Mastino. Zwar ist das Schreiben von Horst Petersen nicht primitiv, ja streckenweise geradezu schlicht poetisch, aber die penetrant belehrende und anklagende Haltung dahinter zerschmettert jedes schöne Bild. „Linke Pädagogik-Lyrik sucks“ würden B&B kommentieren. Daß der matschige HipHop-Sound von Mastino durchaus eine Klärung zum Interessanteren erfahren hat, muß über die schmerzhafte Omnipräsenz der Worte leider ohne Gnade vernachlässigt werden. tlb

Malka Spiegel - Rosh Ballata

Immersion - Oscillating

Swim/Strangeways/Indigo

Malka Spiegel, ehemalige Bassistin der israelisch/holländischen halbavantgardistischen Gruppe Minimal Compact, an deren Hochzeit Mitte der Achtziger sich sicherlich nicht mehr jeder erinnern muß, ist inzwischen in musikalischer und tatsächlicher Ehe mit Ex-Wire-Mann Colin Newman verbändelt. Gemeinsam arbeiten sie an sphärischen Schallteppichen und Ambient-Rock, wie man ihn vielleicht eher auf 4AD vermuten würde. Die beiden auf ihrem eigenen Label veröffentlichten Platten unterschieden sich nur im Grad der Zurückgenommenheit. Während Rosh Ballata langsame Lieder mit viel Melodie über die sehr lange Spieldauer verhallt und dabei volksmusikalische Seitenlinien eröffnet, reduziert sich Oscillating ganz auf anheimelndes Ambient-Rauschen und sich träge verändernde Harmonien. Beides befördert viel Charme und Atmosphäre, allerdings ohne wirkliche Liebe zu fordern.

Petra Möbel

2ruff - ruffskills

Soulciety/EWM

Daß in Deutschland arbeitende HipHop-Spunde sich nicht mit der South-Central-L.A.-Macke großtun und politische Reimereien aus einer diffusen Rechtfertigungsecke a la „Wir sind schwarz und trotzdem Deutsch“ erstellen, ist nicht unsympathisch. Denn der neue Moralismus in der deutschen Hip Hop-Szene, der das Lager in Blödels und Radikalinskis aufteilt, läßt außer acht, daß auch HipHop zuerst Musik und erst danach eine Möglichkeit ist, Parole zu bieten. So gesehen treibt 2ruff straight zwischen Message und Teenie-Scheiß hindurch aufs offenene Gewässer. Sie nehmen ihre Musik höchst ernst, sind integer in ihrem Style und spielen einen Party-Rap, der fett, sauber und rund für die Unterhaltung einer Klientel bestimmt ist, die auch im Plankton noch Geschmack beweist. ruffskills ist zudem eine ausgesprochen internationalistische Produktion, die ihr Material souverän beherrscht und durch den Schmelz der Jugend (Höchstalter 20) nur im Positiven glänzt. Keine vertrackten Alters- und Identitätsprobleme!

tlb

Plattenvorstellung: 7. 10., Schöne Aussichten