Kohl beklatschte Wedemeier kaum

■ Festakt: Die Briten kamen im Rolls-Royce, der Äthiopier mit der Bahn

Sprühregen und kühle 16 Grad erwarteten den äthiopischen Botschaftsvertreter gestern Morgen in Bremen. Im traditionellen Gewand war der Diplomat früh morgens in Bonn in den Zug gestiegen, um rechtzeitig zum Festakt der „deutschen Einheit“ an der Weser zu kommen. Trotz des schlechten Wetters kam er zu Fuß vom Bahnhof zum Kongreßzentrum. Sein Land kann sich eine teure Staatslimousine nicht leisten.

Seine KollegInnen aus Großbrittannien reisten im Rolls-Royce an, die schwedischen VertreterInnen kamen im Scania, national ist der Tag, national auch die Automarke. „Was wollen denn die Demonstranten draußen?“, fragte der Geschäftsträger der afghanischen Botschaft Hossaini. Er fürchtete, daß sie für den Kommunismus sein könnten. Sie wollten ihn sogar mit Steinen bewerfen, da habe er Gas gegeben.

Während Polizei und Sondereinsatzkommando sich in der Theodor-Heuss-Allee vor dem Kongreßzentrum noch mühen, die DemonstrantInnen in die Eisenbahnunterführung zu drängen, reisen die 1.200 geladenen Gäste aus Politik, Diplomatie, Wirtschaft, Religionsgemeinschaften und gemeinem Volk an. Eine halbe Stunde bleibt noch. Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth nutzt die Zeit, sich nach dem Kirchgang umzuziehen und ihren gewohnt großen Kragen auf der Damentoilette in Form zu zupfen. Um 11.29 Uhr verstummen die Murmelnden im Festsaal, Helmut und Hannelore Kohl ziehen mit großem Sicherheitsgefolge ein.

Bürgermeister Klaus Wedemeier spricht sich für die erleichterte Einbürgerung von AusländerInnen in Deutschland aus. „Eine Bundesrepublik Deutschland, die ihre Realität, Einwanderungsland zu sein, bewußt akzeptiert und regelt, wird viele Vorbehalte überwinden“, liest er vom Blatt ab. Vom Kanzler erntet er dafür keinen Beifall. Wedemeier hebt Deutschlands Rolle als „Mittler und Förderer im Prozeß der europäischen Einigung“ hervor, will die mittel- und osteuropäischen Staaten in die EU einbinden. Als Zeichen dafür hat er schließlich auch den polnischen Schriftsteller Andrej Szczypiorski eingeladen.

Bundeskanzler Helmut Kohl sagte im Anschluß an die Feier zwar, daß die Reden „beachtlich“ gewesen seien und es sich lohnen würde sie nachzulesen, doch Wedemeier beklatschte er nur mäßig.

Auch Szczypiorski begreift den „tiefen und schönen Sinn der Einheit Deutschlands als eine Etappe zur Einheit des ganzen Europas“. Für ein „wirklich integriertes Europa“ brauche es mehr, als das bislang im Westen vorhandene. „Wir bedürfen etwas mehr Reflexion über das menschliche Schicksal, etwas weniger Hetzerei nach materiellem Wohlstand, etwas mehr Trauer über die menschliche Unreife, etwas weniger Sicherheit, daß alles erreichbar sei“.

Der Schriftsteller und Überlebende des Warschauer Aufstandes und eines deutschen Konzentrationslagers, faßt in Worte, was Bundem despräsidenten Roman Herzog fehlte. Der hielt sich in seiner Rede an die blühenden Landschaften, beschwor die Macht von Wirtschaft, Technik und Verwaltung. Herzog sprach von „Problemen“, und der „offensiven Wahrnehmung sich bietender Chancen“, ohne sie zu benennen. Im Osten und Westen Deutschlands seien die Menschen enttäuscht. Die einen, weil der Aufbau zu langsam gehe, die anderen, weil das in den Osten fließende Geld im Westen fehle. Dafür könne der Westen in Zukunft vom Osten lernen. „Ostdeutschland ist heute schon ein Laboratorium des Neuen“, sagte der Bundespräsident. WerftarbeiterInnen im Land Bremen können davon ein Lied singen. fok