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Schön war's bei Sudermann

Das Örtchen, der Kleinstadtdichter und sein Schloß: Hermann Sudermanns Fluchtburg vor seinen Kritikern in Blankensee wird restauriert – eine Publikation des arani Verlags  ■ Von Jürgen Karwelat

Inzwischen gibt es einen Parkplatz vor dem Dorf. An schlichten Häusern mit Grauputz steht hier und da ein Tisch mit frischem Gemüse oder auch Honig zum Verkauf. Hinter dem neu gefertigten Holzzaun und der wiederhergerichteten Mauer mit dem überraschenden Eingangstor stößt man auf eine der kleinen Merkwürdigkeiten der Mark Brandenburg, die nach und nach auch von den Berlinerinnen und Berlinern entdeckt werden.

Der gar nicht mehr so geheime Tip heißt Blankensee, ein kleines Örtchen 30 Kilometer südlich der Stadt, gerade auf halbem Weg zwischen Ludwigsfelde und Beelitz. Das Dorf hat nicht nur einen malerischen See und ein liebevoll gestaltetes Heimatmuseum zu bieten, sondern auch ein mehr oder weniger verfallenes Schloß mit kleinem Schloßgarten. Mittendrin griechisch-römische Skulpturen, verwitterte Säulen und überwucherte Wege. Ein Bach schlängelt sich durch die Wiese, vorbei am Haus. Der Duft von Holzschutzmittel, Marke DDR, liegt in der Luft.

Die Treppenstufen der Terrasse sind verwittert und neigen sich nach vorn. Risse klaffen in den Außenwänden. Die Fenster könnten schon lange Farbe vertragen. Das Haus steht seit Jahren leer. Tristesse, in die bald Leben kommen wird, denn das Schlößchen soll im nächsten Frühjahr renoviert werden.

Einst berühmter als Gerhart Hauptmann

Es ist das Haus eines Literaten, der heute fast vergessen ist: Hermann Sudermann, am 30.August 1857 in Matziken/Memelland geboren, gestorben am 21.November 1928 in Berlin. von 1902 bis 1927 hat er in Blankensee gelebt. In Berlin findet allenfalls sein Grab auf dem Friedhof Grunewald in der Bornstedter Straße heute noch Erwähnung. Dabei war dieser Herr im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts der meistgespielte Bühnenautor Deutschlands und vielleicht sogar Europas. Seine Stücke waren berühmter als die von Gerhart Hauptmann.

In den Theaterstücken „Ehre“ und „Sodoms Ende“ wie auch in den Romanen „Frau Sorge“ und „Der Katzensteg“ waren Weltschmerz und gesellschaftliche Depression seine Themen. Hermann Sudermann war immer auf der Suche nach Glück und Unglück, fand das Unglück und hielt es jeweils eher für ein individuelles Schicksal als für eine Folge allgemeiner Lebensumstände.

Die Dramatik der aufgeworfenen Probleme ist uns heute weitgehend fremd. Im Schauspiel „Die Ehre“ verlangt der Bruder für die Verführung seiner Schwester „Genugtuung“ und will sich dafür sogar duellieren. Im Stück „Heimat“ versucht der Vater mit der Pistole in der Hand, seine Tochter zu verheiraten.

Liebe, Haß, Mord und Ehre sind ständig wiederkehrende Themen, während die Naturalisten zur gleichen Zeit gerade den vierten Stand als literarisches Thema entdeckten. Armut, Inzest, Alkoholismus, sozialdemokratische Ideen – auch Sudermann ignorierte das motivisch nicht, doch wollte er diesen Schmutz eher in Form konventioneller Gesellschaftsdramen bannen denn aufklärerisch wirken. Sein Intimfeind, der Theaterkritiker Alfred Kerr, spottete:

Dazu kam eine Schmähschrift mit dem Titel „Herr Sudermann, der Di... Di... Dichter“. Selbst Marcel Reich-Ranicki schlägt heute nicht so hart zu. Sudermann antwortete 1902 mit dem Aufsatz „Verrohung der Theaterkritik“.

Finanziell hat dem Dramatiker die ätzende Kritik Kerrs, der sich auch Jacobsohn, Harden und andere anschlossen, nicht geschadet. Er konnte es sich leisten, im Berliner Grunewaldviertel in der Bettinastraße 3 eine Luxusvilla zu kaufen, die 1894 nach Plänen des bekannten Architekten Otto March errichtet worden war. Gereicht hat es auch für ein kleines Schloß in Blankensee.

Rittergutsbesitzer Hermann S.

1902 kaufte er es von der Deutschen Ansiedlungsbank, die die Hoffnung hatte, mit dem prominenten Schriftsteller weiteren Geldadel nach Blankensee zu locken. Das Schloß, eher ein großes Landhaus, wurde 1740 auf den Resten einer frühdeutschen Burg im Auftrag des Kreishauptmanns Christian Wilhelm von Thümen errichtet.

Noch heute befindet sich sein Wappen am Giebel über der Treppe. Die kursächsische Enklave in der Mark Brandenburg erfreute sich bei preußischen Deserteuren großer Beliebtheit. Wenige Kilometer von Potsdam entfernt, war Blankensee ein gefragter Schlupfwinkel, der zu Sachsen gehörte. Deserteure wurden nicht ausgeliefert. Erst 1815 war dies zu Ende. Blankensee fiel zur Mark Brandenburg.

In der Abgeschiedenheit, weit weg vom lärmenden Berlin, wollte sich Sudermann auch seinen Kritikern entziehen, die ihn nun auch noch als „Rittergutsbesitzer und Schloßherrn“ kennzeichneten. Dort empfing Sudermann Freunde wie die Schriftsteller Paul Heyse, Ludwig Fulda und Friedrich Spielhagen. Für den Park sammelte er in ganz Europa Skulpturen, Säulen, Urnen, Kleinplastiken, ganze Brunnen und Marmorbänke. Garten, Haus, Keller und die Berliner Villa waren vollgestopft von den Beutezügen durch Südeuropa und den Orient. 1927 entstand der italienische Garten mit einer drei Meter hohen Schauwand, in deren Nischen Figuren plaziert sind. Überall im Park finden sich Reste der Sudermannschen Sammelleidenschaft für klassische bildende Kunst.

Auf literarischem Gebiet konnte Sudermann seine Anfangserfolge nicht fortsetzen. Von seinem Spätwerk fanden nur die „Litauischen Geschichten“ noch Beachtung, die sogar vor zehn Jahren noch einmal in Neuauflagen erschienen. Einige Erzählungen und Romane Sudermanns wurden später Vorlagen für erfolgreiche Spielfilme. 1933 drehte in Hollywood Rouben Mamoulian den Film „Song of Songs“. Hauptdarstellerin war Marlene Dietrich. „Die Reise nach Tilsit“ wurde gleich zweimal verfilmt. 1927 in den USA als „Sunrise“ und 1939 in Deutschland.

Verfilmung mit der „Reichswasserleiche“

Die zweite Verfilmung, die der Nazi-Regisseur Veit Harlan mit der sogenannten „Reichswasserleiche“ Christina Söderbaum drehte, brachte Sudermann nachträglich den unbegründeten Vorwurf der Nazi-Nähe ein. Die Vorlage war verändert worden: Statt der ostpreußischen Magd war plötzlich eine polnische Adelige das verkörperte Böse. Das paßte so gut zur Eroberung Polens durch das faschistische Deutschland.

Sein Erbe hat Sudermann einer Stiftung vermacht. Die Idee, mit der „Hermann-Sudermann-Stiftung“ kranke und bedürftige Schriftstellerinnen und Schriftsteller zu unterstützen, ging jedoch nicht ganz auf. Der Ruhm war verflossen, die Leserschaft klein, wenige Bühnen spielten Sudermann- Stücke. So blieb der Etat der Stiftung gering.

Das Geld hat jedenfalls nicht gereicht, das Haus in Blankensee, das auch zu DDR-Zeiten Eigentum der Stiftung blieb, zu renovieren. Anfang August diesen Jahres hat die Stiftung das Haus an die Schlösser GmbH verkauft, eine Landes- und Bundesgründung, die die verfallenen Schlösser und Herrenhäuser Brandenburgs restaurieren soll.

Im ersten Stock des leerstehenden Hauses liegen immer noch Sudermanns Bibliothek und sein Flügel ohne Beine, wie ihn der Verwalter 1945 präpariert hatte, als russische Soldaten kamen und das Haus leerräumten. Wenn alles aufgeräumt und restauriert ist, wird die Technische Universität Sudermanns Schloß als Seminar- und Gästehaus nutzen. Und im oberen Stockwerk soll ein Gedenkzimmer für den Weltschmerz-Schriftsteller eingerichtet werden.

Bernd Erhard (Text) und Angelika Fischer (Fotos): „Blankensee. Eine Spurensuche“, arani Verlag, 72 Seiten, 16,80 Mark.

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