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Ein Mann sieht rot

■ Letzte Gefechte auf der Schleimspur des Zeitgeistes. Klaus Rainer Röhl enthüllt seine Ölnatur, rechnet mit der Linken ab und seine Rente aus

Klaus Rainer Röhl, der alte Spaßvogel, präsentiert seine „überfällige Abrechnung“ mit dem, was er als „linke Lebenslügen“ bezeichnet, sendungsbewußt im Ullstein Verlag, der auch Hardcore- Broschüren vertreibt wie „Die selbstbewußte Nation“ und „Die Faschismus-Keule. Das letzte Aufgebot der deutschen Linken“; Werke, die im Reklameteil der rabiaten Abrechnung langwierig beworben werden.

„Klaus Rainer Röhl, Gründer und langjähriger Herausgeber des Linksblatts konkret und Ex-Ehemann von Ulrike Meinhof, blickt zurück im Zorn“, heißt es auf dem Buchrücken. „Bei aller schonungslosen Kritik und Selbstkritik vergißt er dabei nie jenen Witz und ironischen Biß, der diesen pfiffigen Journalisten schon immer ausgezeichnet hat.“ Pfiffigkeit scheint allerdings Röhls erste, gellend eindringliche Eigenschaft zu sein. Die Änderung politischer Positionen muß kein Indiz für Opportunismus sein. Wer 1968, überzeugt von der Verderbtheit der Linken, für eine konservative Erneuerung eintrat und 1994 eine programmatisch linke, von Nackedeis wimmelnde Zeitschrift herausgibt, befindet sich bestimmt nicht auf der Schleimspur des Zeitgeists. Klaus Rainer Röhl ist allerdings genau andersherum vorgegangen.

Früher schmierte Gerhard Zwerenz („Sie war die größte Meisterin / Ich schob ihr meinen Kleister rin“) für Röhls konkret schwüle Kurzgeschichten zusammen; in den siebziger Jahren, als es längst nicht mehr darum gehen konnte, die Verkniffenheit der Ära Adenauer zu bekämpfen, gab Röhl die Sexhefte das da und das da extra dry heraus. Röhls neues Buch enthält jedoch weder ein fleischig leuchtendes Centerfold zum Ausklappen noch einen einzigen Hinweis auf Röhls Karriere als Vorleger, die seiner verlegerischen machtvoll aufgeholfen hat. Statt dessen erteilt er, als versierter Gynäkologe, Auskunft über die „drei Nachgeburten“ der APO, die uns heute das Leben zur Last machen. „Der Schoß der Bewegung, die es bald nicht mehr gab, war noch fruchtbar für Mißgeburten – drei Bastarde traten hervor, fratzenhafte Zerrbilder einer einst gutgemeinten Sache.“ Die wahlweise als Nachgeburt, Mißgeburten und Bastarde der APO beschimpften Phänomene, die Röhl mit seinem Brecht-Zitat dem Faschismus gleichstellt, sind „die Drogenapostel, die Terroristen und der Feminismus“. Deren ménage à trois ist unser Verderben eher noch als der von Allah, Gott und Edzard Reuter. Im Eifer des Gefechts marschiert Röhl, der einsame Kämpfer wider „Nationalmasochisten“ und die „Generation intellektueller großstädtischer Hypochonder“, gemäß seinem privaten Schlieffen- Plan simultan gegen die „Lebenslüge Antifaschismus“ und den „Mythos vom klitoralen Orgasmus“ auf. Ein Mann sieht rot. Was die Linke, und Röhl immer fröhlich vorneweg, verzapft und verbrochen hat, steht auf einem anderen Blatt. Röhls Pappenheimer – Drogenapostel, die es doch niemals mit Mast und Berentzen aufnehmen konnten, ein paar abgehalfterte, versprengte Terroristen und die unzurechnungsfähige Andrea-Dworkin-Fraktion – sind nicht gerade die aktuellen Menschheitsgeißeln eins bis drei. Nicht daß er für Ullstein und die FAZ schreibt, ist das Widerliche an Röhl, sondern daß er die Kundschaft ausgerechnet dort, statt sie zu verstören, mit den klebrigsten Billigartikeln bedient („Man trug die Haare lang und wusch sie nach Möglichkeit nicht.“).

Im kritischen Tanztheater ist Ulrike Meinhof blühender Nachruhm zuteil geworden. Zuckende, klösterliche Pantomimen haben mehr als einmal die innersten Empfindungen der Gefangenen im Isolationstrakt auf der Bühne brutal nach außen zu kehren versucht. Nun ist es endlich möglich, im Tanztheater auch das Innenleben des Klaus Rainer Röhl nach außen zu stülpen; die intimen Bekenntnisse, die er jetzt veröffentlicht hat, müßten auch Pina Bausch entzücken.

Natürlich gehört mehr Mut dazu, Röhls Ölnatur dramatisch darzustellen, als Ulrike Meinhofs Schicksal. Aber wenn sich irgendwo im deutschsprachigen Raum eine Tanztheatertruppe bereit findet, das Buch „Linke Lebenslügen“ szenisch (oder wie sagt man da?) umzusetzen, möchte ich darum bitten, dabei in einer feuerroten Ganzkörper-Gummi-Uniform, mit Witz und ironischem Biß, versteht sich, den Mythos vom klitoralen Orgasmus darstellen zu dürfen. Hallo wach! Gerhard Henschel

Klaus Rainer Röhl: „Linke Lebenslügen. Eine überfällige Abrechnung“. Ullstein, 19,90 DM

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