piwik no script img

Mildes Urteil für „Kugel“

■ „Mit anderen Fällen nicht vergleichbar“: Der Fall des Stasi-Spions Kurt Wand vor dem Oberlandesgericht / Ein Jahr auf Bewährung Von Uli Exner

Es ist das Besondere an diesem Prozeß, daß die Herren in den schwarzen Roben wissen, daß sie selbst womöglich nicht anders gehandelt hätten als der Angeklagte. Der Verteidiger. Der Staatsanwalt. Die Richter des Dritten Strafsenats am Oberlandesgericht. Daß auch sie gestern hätten verurteilt werden können wegen „geheimdienstlicher Agententätigkeit für eine fremde Macht“, wenn ...

Kurt Wand – ehemaliger Eimsbütteler SPD-Funktionär, bis zu seiner Enttarnung als Stasi-Spion eine graue Eminenz in seiner Partei – schildert seine Biographie mit stockender Stimme, die Hände nesteln fahrig am vorbereiteten Manuskript: Der Vater, Buchhändler, Kommunist im Widerstand gegen die Nazis, Konzentrationslager. „Ein klares Vorbild“ für den heute 50jährigen. Er selbst, aufgewachsen in den 50ern, Volkswirtschaftsstudent in den 60ern, Apo, SHB, SPD-Linker, Stamokap-Anhänger. „Von meinem Vater habe ich die Grundhaltung übernommen, solidarisch mit der DDR zu sein.“

Konnte er da „Nein“ sagen, als ihm der Vater Ende der 60er Jahre seine Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit, seine Tätigkeit für das andere Deutschland offenbarte und den Sohn quasi anwarb? Konnte Kurt Wand da „Nein“ sagen, wo er doch davon überzeugt war, „daß die DDR wenigstens vom Grundsatz her auf dem richtigen Weg“ war. Eine „Alternative zum Kapitalismus“, die er doch selbst so sehr herbeisehnte.

Kurt Wand stieg ein ins sporadische Agentenleben. Zwanzig Jahre lang traf er sich alle sechs Monate konspirativ mit Stasi-Mitarbeitern, lieferte ihnen „Informationen von minderer Bedeutung“, wie das Gericht Wands Nachrichten über SPD, Jusos und Sozialistischen Hochschulbund heute einstuft. Anträge für Parteitage, Vorstandslisten, Einschätzungen über innerparteiliche Strömungen und Entwicklungen. Kein Geheimnisverrat, eher ein ständiger Vertrauensbruch gegenüber seinen Genossen. Um den damit verbundenen inneren Konflikt nicht noch zu verschärfen, das gibt Wand zu seiner Entlastung zu Protokoll, habe er auf eine mögliche Parteikarriere verzichtet.

Monatlich 500 Mark hat ihm die Stasi gezahlt. Auch wenn dieses Geld „keine Rolle gespielt“ habe: Es abzulehnen? Das habe ich nicht geschafft. Und auszusteigen? Erst recht nicht. „Rauszugehen“, sagt Wand, das „wäre immer auf meinen Vater zurückgefallen“.

Aber es ist nicht nur diese Loyalität, die ihn weitermachen läßt. Den Putsch in Chile, den Radikalenerlaß, den Nato-Doppelbeschluß führt er an als Ereignisse, die „meine Gegnerschaft zum Kapitalismus bestärkt“ haben. Und die damals innerhalb der Linken übliche Kritiklosigkeit gegenüber dem real existierenden Sozialismus: „Ich hätte es sehen können und müssen. Habe es statt dessen beiseite geschoben und gedacht, das wird schon nicht so schlimm sein.“

Erst mit dem Mauerfall hat der Agent mit dem Decknamen „Kugel“ ausgedient. Im November 1993 wird Wand enttarnt, gesteht, verläßt die SPD, verliert seinen Job als Geschäftsführer eines Consultunternehmens. Seine Lebensgefährtin Traute Müller tritt von ihrem Amt als Stadtentwicklungssenatorin zurück.

„Keiner von uns kann sagen,“ faßt Staatsanwalt(!) Wolfgang Ehlers in seinem Plädoyer Wands Biographie zusammen, „wie man sich in vergleichbarer Lebenssituation verhalten hätte.“

Diese Biographie, das umfassende Geständnis, das der Vorsitzende Richter, Albrecht Mentz, als „eine Art Selbstbefreiung“ beschreibt, die „mit anderen Fällen nicht vergleichbare Motivation“ des Angeklagten, auch die „mindere Bedeutung“ des an die Stasi gelieferten Materials – all das wertet die Dritte Strafkammer zugunsten des Angeklagten und urteilt: Ein Jahr Haft, ausgesetzt zur Bewährung. Außerdem muß Wand die Hälfte seines Agentenlohns zurückzahlen, 45.000 Mark. Staatsanwaltschaft und Verteidigung nehmen den Spruch an.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen