: Korinther -betr.: taz-Kirchenkritik 4.10.94
Betr. taz-Kirchenkritik 4.10.
Der große, aufgeklärte Chefredakteur der taz-Bremen selbst (...)setzt an zur Predigtkritik. Scheint's weiß er gar nicht, daß selbstverständlich jeden gewöhnlichen Sonntag Gemeinde-Gottesdienste im Radio bundesweit übertragen werden. Aber ohne Furcht und ohne Besinnung wagt er klare Positionen.
1. Die Predigt habe das Thema verfehlt: „Was für ein Thema: protestantische Kirche und deutsche Einheit!“. Stattdessen liest er – der Prediger – aus einem Paulusbrief vor“. Komisch: dieselben Kritiker haben einst an der evangelischen „Kirche in der DDR“ immer kritisiert, sie kungele mit Ulbricht, Honecker, Gysi (Vater) u.a.; sie unterdrücke die Kriegsdienstverweigerer-Bewegung, Ökogruppen, Friedenskreise unter ihrem Dach. (...)Für einen Rainer Eppelmann, jahrzehntelang ein Dorn im Fleisch der DDR, haben diese Kritiker heute nur Hohn übrig. Und zu Pastor Uhl, gestern verschrien als Kommunist, heute: Thema verfehlt, Stunde nicht genutzt!
Antwort: Das Thema Evangelische Kirche und deutsche Einheit mag ein gutes, wichtiges Streitgespräch abgeben, z.B: auch am 3. Oktober, z.B. im Goethe-Theater. Aber in der Gemeinde und ihren Gottesdiensten gilt: „Wir predigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus, daß er sei der Herr“ (auch von Paulus, der sich schon damals mit so überlegen klugen Korinthern rumschlagen mußte).
2. „Singt und jubelt aus vollem Herzen zum Lob des Herrn, sagt... Dank für alles im Namen Jesu Christi, unseres Herrn“ (Paulus) – „Das ist Predigt als geschwätziges Drumherumreden“ (K.W.) So? Na, da fragen Sie mal, lieber K.W., nicht nur Christen wie Frau Hildebrandt, Frau Birthler, Herrn Reich, sondern gerade die einfachen, überzeugten christlichen Gemeindeglieder aus den damals zusammengeschrumpften, isolierten Gemeinden in der DDR, ob die nicht gerade aus dieser Haltung – einig, Gott zu loben – alle Kraft, Orientierung, Hoffnung und Solidarität untereinander geschöpft haben, mit denen sie sich dann als Bürger in ihrer Diktatur-Gesellschaft eingebracht haben und so an ihrer Seele nicht solchen Schaden nahmen wie die Vielen.
(...) 4. Gemein aber ist eine Kritik oder ein Journalismus, die Unterstellungen so geschickt unterschieben, daß der Leser sie eher zu glauben geneigt ist als das, was ihm soeben verkündigt wurde. Pastor Uhl predigte, daß es „vor Gott und in der Geschichte ein unumkehrbares ZU-Spät“ gibt. Dazu K.W.: „Genau das Gegenteil wird er am Buß- und Bettag sagen: Für Umkehr ist es nie zu spät“. Daß ist gemein. Denn Pastor Uhl wie jeder Christ rechnet damit, daß es vielleicht keinen Bußtag mehr gibt – er mahnte und warnte davor sogar eindringlich in der Predigt. (...) Pastor Uhl wird darum wie jeder Prediger am Bußtag predigen, wie er es am 3.Oktober tat und jeden Sonntag: Heute, so ihr Seine Stimme hört, so verstocket euer Herz nicht! – Der große Dialektiker K.W. auf dem Holzweg der Diffamierung, weil „Heil“ und „Seele“ und „machtvolle Fakten“ für ihn (...) nur „salbungsvolle Worte“, Geschwätz sind. Basta. (...)
Nein, die Kirche, ihre Gemeinden und Prediger, dürfen sich weder von „Rechts“ noch von irgendeiner „Linken“ mißbrauchen und einpassen lassen, und sie werden es nicht tun, wie dieser Gottesdienst gezeigt hat. K.W.'s Kritik ist leider eine Kirchenkritik in ihrer schlichtesten klassischen Form der Frühzeit des Sozialismus. Nach allem, was auch sie ausgerichtet hat, heute eine noch mehr erschreckende Stimme. Karl-Wolfgang Hanne
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