: „An der Grenze zur Debilität“
■ Kindesmißbrauch: Flachslanden-Verfahren unterbrochen
Ansbach (taz) – Die Arme verschränkt, den Blick starr zum Boden gerichtet – so wartete Angelika T. auf den Beginn des Verfahrens. Die Hauptangeklagte des Kindermißbrauchskandals von Flachslanden muß sich vor dem Ansbacher Landgericht nicht nur wegen sexuellen Mißbrauchs ihrer eigenen Kinder verantworten, sondern auch wegen Vergewaltigung und schweren Menschenhandels. Sie soll ihre Kinder zur Prostitution gezwungen haben.
Den angereisten Fotografen und Fernsehteams blieb zunächst ein Schnappschuß der von der Boulevardpresse als „Porno- Mutti“ titulierten Angeklagten verwehrt. Das Gericht hatte ein Film- und Fotografierverbot verhängt.
Nachdem der Vorsitzende Richter Peter Heckel den generellen Ausschluß der Öffentlichkeit abgelehnt hatte, stellte der Verteidiger von T., Rechtsanwalt Hubertus Werner aus Landshut, den Antrag, das Verfahren einzustellen. Seine 35jährige Mandantin könne aufgrund ihrer geringen intellektuellen Fähigkeiten dem Prozeß nicht folgen. Alles, was „über rudimentäre Dreiwortsätze“ hinaus gehe, könne sie nicht verstehen, ihre Intelligenz sei „mindestens an der Grenze zur Debilität“ anzusiedeln, sie sei daher verhandlungsunfähig.
Richter Heckel unterbrach daraufhin die Hauptverhandlung noch vor der Verlesung der Anklageschrift. Für die Dauer der Vernehmung der Angeklagten werden die Gerichtstüren jedoch verschlossen bleiben, da die „Gefahr einer Aussageblockade“ bestehe. Bis kommenden Montag soll nun ein neues psychologisches Gutachten zur Verhandlungsfähigkeit von Angelika T. vorliegen. Das wird auch eine Vorentscheidung über die Frage der Schuldfähigkeit der Angeklagten und der Einweisung in eine psychiatrische Einrichtung darstellen.
Die 35jährige und ihr 54jähriger Ehemann Rudi T. stehen im Mittelpunkt der bundesweit bislang größten Prozeßserie um sexuellen Mißbrauch von Kindern. Am 30. Juni letzten Jahres waren über 100 Polizeibeamte im Einsatz gewesen, um 15 Männer und fünf Frauen aus der 2.400 Einwohner zählenden Gemeinde Flachslanden in Mittelfranken sowie aus Ansbach und aus Nürnberg festzunehmen. In den Ermittlungen stellte sich heraus, daß die Erwachsenen insgesamt neun Kinder massiv sexuell mißbraucht hatten. Das jüngste Opfer war zur Tatzeit gerade mal zwei Jahre alt.
Im Zentrum der Ermittlungen stand die Familie T. aus Flachslanden. In ihrer Wohnung, in zwei auf einem Campingplatz abgestellten Wohnwagen und in einer Waldhütte sind die vier Töchter der Familie T. sowie Kinder von befreundeten Familien mehrfach vergewaltigt und zu anderen sexuellen Handlungen genötigt worden. Der sexuelle Mißbrauch geschah nicht nur mit Billigung der Eltern, sondern unter deren Beihilfe. Der 54jährige Rudi T. soll seine sich wehrenden Töchter festgehalten haben, damit seine Freunde sie mißbrauchen konnten. Mutter Angelika (34) soll die Erwachsenen nicht nur zu weiteren Handlungen angestiftet haben. Sie hat sich, so ihre eigenen Einlassungen im Verfahren und die Aussagen der Kinder, über mindestens drei Jahre hinweg an ihren eigenen Kindern vergangen. Darüber hinaus stellte sie ihre Kinder Verwandten und Bekannten zur Verfügung und ließ die sexuellen Handlungen auf Video aufnehmen.
Auch die bisherigen Hinweise auf Kinderprostitution verdichten sich unterdessen. Eines der Mädchen erzählte, sie sei von Angelika T. mit einem gelben Auto nach Nürnberg gefahren worden und dort regelmäßig von einer größeren Anzahl von Personen mißbraucht worden. Es ist noch unklar, welche Geldsummen dabei im Spiel waren.
Auch in ihre eigene Wohnung soll Angelika T. namentlich nicht bekannte Männer zum Kindersex eingeladen haben. Damit die Kinder nicht schreien und sich nicht wehren konnten, soll sie ihnen die Hände gefesselt und einen Apfel in den Mund gesteckt haben.
Während Angelika T. einen Teil der Vorwürfe in früheren Vernehmungen bereits eingeräumt hatte, streitet ihr Ehemann, der in den nächsten Wochen vor Gericht stehen wird, bislang alle Vorwürfe ab.
Bisher sind im Fall Flachslanden zehn Angeklagte zu Haftstrafen zwischen dreieinhalb und zehn Jahren verurteilt worden. Die meisten Urteile sind bereits rechtskräftig geworden. Bernd Siegler
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