: Letzte Reste
■ „Hamburg Innenstadt“ erzählt die Stadtgeschichte der Kernstadt
Schön im abendlichen Herbstlicht liegen sie da, die Hamburger Häuser an den Altbau-Sammelstellen in der Innenstadt. Mit der Kamera von Sven Krieger kosmetisch behandelt, erscheint die Hamburger „Altstadt“ wie ein Kleinod, ja wie ein denkmalpflegerisches Idyll, das beispielhaft für eine kluge Substanzerhaltung im teuren Herz einer Millionestadt gelten könnte. Ausgeblendet die Giftvene der Ost-West-Straße ebenso wie die stadtmordenden Büropflöcke der Nachkriegsarchitektur, wenn sie sich nicht, wie etwa das Unilever-Haus, als Licht-Kunstwerk fotografieren lassen. Daß ein gräßlicher Neubau des Springer-Verlages die Innenstadt verschandelt, der Klosterwall von graugelben Bürozähnen dominiert wird oder die Landeszentralbank an der Deichstraße wie ein Alptraum über den letzten Spuren der alten Kaufmannsstadt schwebt, in dem Porträt Hamburg Innenstadt kommt dies nicht vor.
Doch was im Bild vielleicht das Auge nicht beleidigen soll, wird im Text immerhin kritisch untersucht. Die Entwicklung Hamburgs Von der alten Kaufmannsstadt zur modernen City (so der Untertitel) unterzieht Ursula Schneider einer knappen, informativen und dennoch teilweise bissigen Betrachtung. Gedacht als leichter Einstieg in die Hamburgische Geschichte stellt der großformatige Band stadt- und architekturgeschichtliche Daten lesbar zusammen und kommentiert sie mit einigen Aspekten, die der Schönwetterpolitik Hamburger Planer und Werber widersprechen.
Es sind dies oft kleine Beispiele, die den Alltag einer Stadt zum Maßstab nehmen und nicht das verwertbare Renommee. Etwa die Bemerkung, daß die Konzeption der auf Konsum geeichten Passagen alles Störende und Spontane verbannt, also letztlich mit der Vitalität europäischer Vorbilder nicht konkurrieren kann. Oder die Hinweise, daß angeblich öffentliche Räume in Kontorhäusern durch eine Architektur der Schwellenangst nicht benützt werden, wie im Zürich-Haus an der Domstraße.
Als roter Faden der Kritik ziehen sich aber die Fingerzeige auf böse Wunden der Stadtgeschichte durch das Buch. Sei es in spektakulären Fällen, wie dem Abriß des ersten Hamburger Kontorhauses von Martin Haller, dem Dovenhof, für den Neubau des Spiegelhochhauses, oder aber in kaum diskutierten Geschehnissen, wie bei der die Umgebung erdrückende Backstein-Grandezza des Neuen Dovenhofs an der Ost-West-Straße, Ursula Schneider hat einen scharfen Blick auf den fahrlässigen Umgang mit steinernen Zeugnissen. Von der vorindustriellen Kaufmannsstadt bis zu aktuellen Stadtentwicklungsprojekten zieht sie die Spur der „letzten Reste“, hinter der die durch Abriß (nicht Krieg) verlorene Gesamtsubstanz gähnt.
Rundgänge mit Beispielen laden den Stadtwanderer schließlich ein, sich mit dem Buch in der Hand selbst ein Bild von Hamburgs Innenstadt zu machen. Dabei erfährt der Neugierige viel über Epochen, Architekten und Stile. Nur das DIN A4-Format ist für die Jackentasche etwas ungünstig. Till Briegleb
Christians Verlag, 96 S., 54 Mark
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