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Die alte Dame und die Schmuddelkinder

Beim diesjährigen Parteitag der britischen Konservativen bestimmt der „Sleaze“, der Mauschelfaktor, die Stimmung der Delegierten / Die Europapolitik spaltet die Torys noch immer  ■ Aus Bournemouth Ralf Sotscheck

Der Empfang war nüchtern: ein Höflichkeitsapplaus, ein paar aufmunternde Worte – sonst nichts. Lady Thatcher ist mehr Enthusiasmus gewöhnt, als ihr auf dem diesjährigen Parteitag der britischen Konservativen in Bournemouth entgegenschlug. Noch 1991 – ein Dreivierteljahr nach ihrem Sturz als Premierministerin – war sie mit Standing ovations gefeiert worden, die ihrem Nachfolger John Major lange in den Ohren klangen.

Als sie am Dienstag auf der Bühne des Konferenzsaals saß, war ihr anzusehen, daß sie die Mittagspause herbeisehnte, um ihre Stippvisite endlich beenden zu können. „Sie sieht aus wie eine zerstreute ältere Dame, die ins Altersheim gebracht wird“, sagte ein Journalist. Und Simon Hoggart vom Guardian kommentierte sarkastisch: „Margaret Thatcher Unplugged.“

Die ehemalige Premierministerin ist zu einem Wahlrisiko für die Torys geworden, ihr Name hängt mit einem Begriff zusammen, der die Tory-Führung im Schlaf verfolgt: dem „Sleaze Factor“. „Schmuddeligkeit“ und „Mauschelei“ – wie eine Gewitterwolke hängt „Sleaze“ über dem Parteitag.

Die Geschichte liegt bereits zehn Jahre zurück. Damals handelte Thatcher mit Saudi-Arabien den größten Rüstungsdeal aller Zeiten aus, der Gesamtwert beträgt umgerechnet 50 Milliarden Mark. Dreißig Millionen davon soll Thatchers Sohn Mark als „Vermittlungsgebühr“ kassiert haben. Der Rechnungshof leitete eine Untersuchung ein, hielt das Ergebnis aber bis heute geheim, um das Geschäft nicht zu gefährden. Der Vertrag enthält nämlich eine Klausel, wonach Saudi-Arabien die Waffenbestellungen jederzeit stornieren kann. Die Sunday Times hatte am Wochenende Wind von der Sache bekommen. Der Vertrag zwischen beiden Ländern sei ordnungsgemäß ausgehandelt worden, war Margaret Thatchers einziger Kommentar am Vorabend des Parteitages. Nach ihrem Kurzbesuch in Bournemouth flog sie nach Texas, wo Sohn Mark lebt. Am Wochenende ist sie Stargast bei einem Wohltätigkeitsessen: „Lunch mit einer lebenden Legende.“

Neben Mark Thatcher gibt es auch noch den ehemaligen Staatssekretär und Romanautor Jeffrey Archer, der dem Parteitag vorsichtshalber fernblieb, weil ihm Insider-Geschäfte vorgeworfen werden, sowie den früheren Minister John Gummer, der nach seinem Rücktritt schnurstracks in den Aufsichtsrat eines Unternehmens aufgenommen wurde, mit dem er während seiner Amtszeit regelmäßig zusammengearbeitet hatte. Sleaze? Fast zwei Drittel der BritInnen halten die Torys laut einer Umfrage für „unehrlich und verkommen“.

Die Stimmung bei den Torys ist schlecht, es ist eine Veranstaltung in Moll. Während der Vorstand das Motto „Britannien wird stärker“ für den Parteitag ausgegeben hat und trotzig auf Optimismus setzt, teilt jeder Redner und jede Rednerin Seitenhiebe auf die Labour Party aus. „Labour beherrscht das Geschehen“, wundert sich eine weißhaarige Delegierte aus Südwestengland in der kleinen Cafeteria im Foyer des Konferenzzentrums. „Fast könnte man meinen, daß wir die Oppositionspartei wären. Warum spricht denn niemand von unserer Politik in den nächsten zwei Jahren bis zu den Wahlen?“ Eine resolute Sechzigjährige im geblümten Kleid, die auf dem Boden kniet, weil alle Stühle besetzt sind, stimmt ihr zu: „Man kann doch keine Wahlen gewinnen, indem man Tony Blair Äußerungen vorhält, die er vor acht Jahren gemacht hat. Man sollte sich lieber damit auseinandersetzen, was er heute sagt, denn das kommt bei den Wählern an.“

Selbst die Tory-Presse zollt dem neuen Labour-Chef höchste Anerkennung und räumt ein, daß sich Labour unter seiner Führung zu einem ernstzunehmenden Gegner gemausert habe, der den Torys den Platz in der Mitte streitig macht. „Labour schwelgt in Euphorie“, sagt ein Tory-Journalist, der den Labour-Parteitag in der vergangenen Woche beobachtet hat. „Blackpool ist scheußlich, das Wetter war miserabel, aber die Stimmung im Wintergarten war grandios. Labour ist davon überzeugt, die nächsten Wahlen zu gewinnen. Das kann man von uns wohl kaum behaupten.“

Das meint auch Teddy Taylor, ein schottischer Unterhausabgeordneter mit Wahlkreis in Südengland: „Die Labour Party hat viel dazugelernt, sie wird uns immer ähnlicher. Früher haben sie auf ihren Parteitagen noch echte Debatten geführt, aber jetzt sind sie wie bei den Konservativen als PR-Veranstaltungen aufgezogen.“ Macht ihm das Sorgen? „Ich bin seit zwanzig Jahren deprimiert, es ist alles so traurig“, sagt er mit seinem harten schottischen Akzent, aber lacht dabei. „Seit wir der Europäischen Gemeinschaft beigetreten sind, gibt es doch keine Freiheiten mehr. In der Agrardebatte da im Saal redet der Minister über den Export von Rindern, als ob er irgendeinen Einfluß darauf hätte. Das wird doch alles in Brüssel entschieden.“ Taylor glaubt, daß es deshalb keine Rolle spielt, ob „Labour, Torys, Liberale, Kommunisten oder Faschisten“ regieren. „Es ist alles vorgegeben, bis auf die Todesstrafe vielleicht.“ Doch die Torys, so hofft er, werden zunehmend antieuropäisch. „Wir müssen uns aus der EU zurückziehen, falls sie sich nicht auf freien Handel in Freundschaft beschränkt.“

Wie tief der Graben ist, der bei diesem Thema noch immer quer durch die Tory-Partei läuft, wurde am Dienstag deutlich. In der außenpolitischen Debatte hatte Außenminister Douglas Hurd um Unterstützung für die Regierungspolitik geworben. „Wann immer wir in den vergangenen hundert Jahren Europa den Rücken zugedreht haben, mußten wir teuer dafür bezahlen“, sagte er. Die Delegierten segneten Hurds lauwarmen Antrag auf Bestätigung seiner Außenpolitik ab, aber die Ovationen, die wenig später durch den Saal klangen, galten nicht ihm, sondern dem Europa-Gegner Ronald Forest aus Pembrokeshire, als er gegen „weitere europäische Integration und Verlust nationaler Souveränität“ ins Feld zog. „Die Parteiführung sitzt auf einem Pulverfaß“, zog ein europafeindlicher Abgeordneter sein Fazit aus der Debatte.

Wenige Stunden später explodierte das Pulverfaß. Hatte der Tory-Vorstand im Hauptsaal – es waren lediglich unkritische Anträge zugelassen, die allesamt mit einer Lobpreisung der Regierung eingeleitet werden mußten – alles im Griff, konnte er die Rahmenveranstaltungen nicht kontrollieren. Dort aber sprach der ehemalige Finanzminister Norman Lamont, der im Sommer vergangenen Jahres von Major aus dem Kabinett geworfen worden war. Lamont sagte, Major unterliege einer Selbsttäuschung, wenn er glaube, daß Deutschland und Frankreich keine europäische Währungsunion anstrebten. „Es wurde vor kurzem gesagt“, so streute er weiteres Salz in Majors Wunden, „daß ein Austritt aus der Gemeinschaft undenkbar sei. Ich halte diese Haltung für ziemlich simplizistisch.“ Er könne „keinen einzigen wirtschaftlichen Vorteil“ in der britischen EU-Mitgliedschaft erkennen, fügte Lamont hinzu und berief sich auf das Wort Napoleons, daß die Politik einer Nation von ihrer Geographie bestimmt werde: „Großbritannien liegt nicht im Herzen Europas, sondern an seinem westlichen Rand.“ Deshalb müsse die britische Regierung bei der EU-Konferenz 1996 jede weitere Teilnahme an der politischen Entwicklung in Europa verweigern.

Wie tief der Schrecken über Lamonts Attacke beim Kabinett sitzt, zeigte sich am Abend. Kurz vor seiner Abreise nach Kuwait, wo er heute die Außenminister der Golfstaaten treffen wird, versuchte Hurd, seinen Parteikollegen lächerlich zu machen. Er sei nicht auf dem laufenden, warf er ihm vor und sagte: „Die Dinge haben sich zu unseren Gunsten gewendet, seit Lamont über die Maastrichter Verträge mit verhandelt hat.“

Doch Lamonts Ansehen beim rechten Parteiflügel ist nach wie vor hoch. „Als ehemaliger Finanzminister weiß er, wovon er spricht“, sagt die Weißhaarige aus Südwestengland, „Major hätte ihn damals nicht feuern dürfen.“ Sie mag den Premierminister nicht besonders, seit er im vergangenen Monat ihren Kreisverband besucht hat, jedoch recht unfreundlich war und nach dem Essen gleich wieder verschwinden wollte.

Eine Gruppe von Nachwuchstorys aus Hammersmith in Westlondon hält nichts von einem Rechtsruck als Antwort auf Labours Drang zur Mitte. Wie sie in ihren dunklen Anzügen auf den Hockern in der Cafeteria im Konferenzzentrum von Bournemouth sitzen, sehen sie aus wie Konfirmanden. „Tony Blair ist medienwirksam“, sagt einer von ihnen, „das ist aber seine einzige Stärke.“ Sein Kollege fügt hinzu: „Er tut so, als ob er für Law and order eintrete, dabei stimmt er im Unterhaus gegen die Verschärfung der Bewährungsstrafen und gegen mehr Rechte für die Polizei.“ Und der dritte meint: „Wir müssen wieder die Initiative ergreifen. Hier wirken alle so matt, man hat ja fast das Gefühl, daß wir die nächsten Wahlen gar nicht gewinnen wollen.“

Das Gespräch der drei Jungkonservativen wird von ihrem Kreisverbandsleiter unterbrochen, der sie zum Zettelverteilen schickt. Auf den Zetteln ist die Rahmenveranstaltung des Tory-Rechtsaußen Michael Portillo angekündigt. Thema: „Klares blaues Wasser zwischen Labour und uns.“

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