Wie lange hält sich Kohl?

■ Uneinigkeit über das Verfallsdatum der neu-alten Koalition

Berlin (taz) – Alles bleibt beim alten, alles ist ganz anders. Die alte Koalition wird zwar weiterregieren, aber ihr Vorsprung ist von 134 auf 10 Bundestagssitze geschrumpft. Und sie wird sich – falls in Mecklenburg-Vorpommern wie in Thüringen eine Große Koalition gebildet wird – einer Zweidrittelmehrheit der SPD im Bundesrat gegenübersehen. Welche Konsequenzen haben die Parteien gestern aus dieser Situation gezogen – und welche sind analytisch aus ihr zu ziehen?

Auf den Seiten 2 und 3 berichten wir über die Reaktionen der Parteien. Der paradoxe Eindruck des Wahlabends blieb bestehen: Es gibt überhaupt niemanden, der sich über das Wahlergebnis nicht freut. Kohl bezeichnete seine Mehrheit gestern als „sehr gut regierungsfähig“, Waigel versprach, daß die CSU ihren Erfolg „nicht mißbrauchen wird“, die FDP will stärker als bisher um liberale Belange kämpfen, Scharping sieht die SPD „in einer strategisch sehr günstigen Ausgangsposition“, Joschka Fischer sagt: „Diese Mehrheit ist zu knacken“. Und die PDS bemerkt zu ihrem Abschneiden: „Da müssen wir was draus machen“, nur Konzepte solle man nicht verlangen.

Auf den Seiten 4, 5 und 10 analysieren wir die Wahlergebnisse. Wird die neue Konstellation in absehbarer Zeit zu einer Großen Koalition führen? Sie ist fast schon da, kommentiert Joachim Raschke: „Die SPD wurde als soziales Korrektiv bestätigt, der Bundesrat wird zum Betriebsrat, die Bundesrepublik zum mitbestimmten Unternehmen.“ Vorerst heiße die wirkliche Regierung Vermittlungsausschuß.

Die große Frage ist: Wie sollen die Grünen mit der Situation fertig werden? Ihr Hauptthema, so Raschke, bleibt nolens volens die SPD: „Dort ist immer noch die größte Zahl von Rot-Grün-AnhängerInnen gebunden. Aber was sollen die Grünen mit einer SPD anfangen, die auf eine Große Koalition noch in dieser Legislaturperiode spekuliert? Sie werden sich neu orientieren müssen.“ Nach Claus Leggewie hat Kohl die Wahl gewonnen, weil er das Wahlvolk in der Sicherheit wiegte, daß wir schon auf dem richtigen Weg seien. Gerade die scheinbare Stabilität, die sich aus dem Wählervotum ergibt, ist heikel: Deutschlands Problem sei nicht die Unregierbarkeit wie in anderen europäischen Ländern, sondern der mangelnde Mut zum Risiko, der selber eines sei.

Also was jetzt: Alles beim alten oder alles anders? Besser als vorher ist es in jedem Fall, schreibt Christian Semler: „Die Zehnstimmenmehrheit im Bundestag schärft das Bewußtsein für die Notwendigkeit, eine realistische Alternative aufzubauen.“