piwik no script img

Kommunist mit Wolkenpumpe

■ Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen entdeckt den jüdischen Komponisten Erwin Schulhoff

Was um Gottes Willen ist eine Wolkenpumpe? Eine Honigpumpe, gut, das ist seit Joseph Beuys inzwischen kein Geheimnis mehr: Gelb und klebrig sieht sowas aus. Aber eine Wolkenpumpe? Vielleicht hellblau und luftigleicht? Auch Erwin Schulhoff stand bei seinen Kompositionen keine Wolkenpumpe zur Verfügung. Das war dem Komponisten jedoch herzlich egal. Der Mangel an phantastischen Instrumenten hinderte ihn nicht daran, ein Wolkenpumpenstück zu schreiben: „Die Wolkenpumpe, op. 40. Ernste Gesänge für eine Baritonstimme (Rezitator) mit vier Blasinstrumenten und Schlagzeug nach den Worten des heiligen Geistes Hans Arp“ (1922).

Andere Kompositionen Schulhoffs heißen „Jazz-Oratorium“ oder „musikalische Tragikomödie“, und langsam dämmert es einem, hier regiert der höhere Blödsinn, den Kunstgeschichtler auch gerne Dada nennen. Erwin Schulhoff ist seit über fünfzig Jahren tot, seine Werke sind nahezu unbekannt, fast vergessen. Trotzdem geht die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen mit zwei Schulhoff-Werken, einem Streichquartett für Bläser und einem Doppelkonzert für Flöte und Klavier, in der diesjährige Konzertsaison an den Start. Risikobereitschaft, Tollkühnheit, Entdeckerstolz oder die Nase im Trend? „Schulhoff ist eine der aufregendsten und spannendsten Wiederentdeckungen. Sein Doppelkonzert, überaus mitreißend und ziemlich effektvoll. Schulhoff hat sogar eine Feuerwehrsirene eingebaut. Daß so jemand ein halbes Jahrhundert lang in Vergessenheit geriet, das ist symptomatisch für die deutsche Geschichte“, meint Albert Schmitt, Kontrabassist und Sprecher des Ensembles. „Als jüdischer Komponist zählte er ja zur Entarteten Kunst, hatte keine Chance unter den Nazis. Musikalisch war er mit den Jazzelementen wahrscheinlich einfach zu früh dran. Er zählt zu den Leuten, die außergewöhnlich individuell geschrieben haben. So was macht heute jeder Komponist macht, daß er sich aus den musikalischen Stilmitteln , unabhängig von einer Schule, das heraussucht, was er gebrauchen kann.“

In den zwanziger Jahren noch war der Name Schulhoff in in aller Munde – jedenfalls im Kreise der künstlerischen Avantgarde. „Schulhof ist der Zeitgemäße“, loben die damaligen Musikblätter. „Vielleicht der Modemusiker von heute. Ein amüsanter, liebenswürdiger, witziger, spielerisch veranlagter, hochbegabter Künstler. Und ein wilder Temperamentsmusikant, ein Draufgeher. Kein Philosoph.“ Letzteres gedacht als Seitenhieb gegen Schönberg, den mancher schon damals für zu heilig und eigentlich einen Langweiler hielt. Schulhoff hingegen ging in die Vollen: Jazz, Swing, Klang- Collagen – die ganze Bandbreite experimenteller Musik wird durchprobiert. Spott, beißend wie Säure, zersetzt den klassischen Kanon. Jazz sickert aus Amerika nach Europa und kriecht zwischen die Notenlinien. Was heute als Zeitgeistphänomen Crossover daherkommt, hieß damals Musikrevolution.

Und die war auch – und gerade – damals nicht von politischen Umwälzungen zu trennen. Wie bei vielen seiner Generation verschafft sich das schreckliche Erlebnis der ersten Weltkrieges (Schulhoff mußte an der Front kämpfen) neue, vorher nie dagewesene künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten. Eine großbürgerliche ernsthafte Beschäftigung mit dem erhabenen Geist der Musik war für die verstörten Rebellen nicht mehr denkbar: „Könnt ihr begreifen, daß mein Schaffen, angeregt durch diesen europäischen Trümmerhaufen und Bevölkerungsmist, nur Spott ist?“ Der 1894 in Prag als Sohn eines deutsch-jüdischen Geschäftsmannes geborene Musiker hatte in Wien, Leipzig und Köln Klavier und Komposition studiert. Nach dem kurzen Höhenflug in den zwanziger Jahren manövrieren ihn jedoch sein experimentelles Schaffen, aber auch seine politischen Überzeugungen zunehmend in die Isolation. Noch 1932 vertont er mit glühendem Herzen das Kommunistische Manifest. Nach der Machtergreifung Hitlers kann er seiner jüdischen Herkunft wegen nicht mehr als Pianist auftreten; auch aus der letzten Anstellung als Radiomusiker in Brünn vertreiben ihn die in der Tschechei einmarschierten Nazis. Trotz materieller Not und existenzieller Bedrängnis hält er stolz an seiner politischen Meinung fest, ist er doch mittlerweile Staatsbürger der Sowjetunion geworden. Zwar entgeht er der Massendeportation der Prager Juden nach Theresienstadt und in die Gaskammern von Auschwitz; dennoch wird er 1941, nachdem Deutschland auch mit Sowjetrussland im Krieg steht, als „Bürger eines Feindstaates“ inhaftiert und stirbt am 18. 8. 1942 im Lager Wülzburg/Bayern.

Die Wiederaufführung der Musik Erwin Schulhoffs erinnert an eine vernichtete Kulturepoche, an die auch im Nachkriegsdeutschland keiner anzuknüpfen wagte. Mit dem Konzert in der Glocke und der anschließenden Aufnahme einer Schulhoff CD deutliches Zeichen. Gerade weil der Verlust unwiederbringlich ist, gilt es Sorge zu tragen, daß die Vernichtung nicht ein zweites Mal, jetzt durch das Vergessen, gelingt. Dagegen gibt es nur eine wirksame Waffe: die Erinnerung und ein amüsantes Konzert.

Susanne Raubold

22.10. um 20 Uhr in der Glocke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen