piwik no script img

Und es kracht im Getriebe

Ein Querschnitt zeitgenössischer Kunst aus dem Osten Deutschlands in Frankfurt (Oder)  ■ Von Katrin Bettina Müller

Die DDR lebt in Brandenburg“, begann Manfred Stolpe, Ministerpräsident von Brandenburg, seine Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Balance – Kunst zwischen gestern und morgen“ im Museum Junge Kunst in Frankfurt (Oder). Mit diesen Worten versuchte er die Kunst aus den Trümmern der alten DDR in ein neues Selbstbewußtsein hinüberzuretten. Denn in den seit 1980 entstandenen Werken, denen der zweite Teil der Ausstellung „Balance“ gilt, entdeckte er Aufbrüche nicht einzuordnender Außenseiter, Spuren von Sensibilisierung und Liberalisierung, die rückblickend als Vorboten großer Veränderungen erscheinen.

Die Künstler – eine Bande von Außenseitern; ihre Werke – Protest? Hat da jemand gelacht? Mokiert sich etwa Wolfgang Smys Bild „Protest I–VII“ über diese Pose des Heroismus? Gleich am Eingang der neuen Präsentation empfängt den Besucher der mehrteilige „Protest“, 1988 gemalt, 1991 vom Museum erworben. Siebenmal der gleiche Kopf im Profil, eine erhobene Faust, gezeichnet mit den starken farbigen Konturen des Comic. Wie in Warhols Pop- Ikonen höhlt die Wiederholung der Figur ihr Pathos aus, bis das tradierte Muster des Arbeiterkampfbildes zum Abziehbild erstarrt.

Nicht die Frage nach Anpassung oder Verweigerung der Künstler hat Brigitte Rieger-Jähner, Direktorin des Museums Junge Kunst, beim Konzept der Ausstellung „Balance“ interessiert. Weggeschoben hat sie auch das Kriterium der Innovation als eine vom westlichen Fortschrittsglauben geprägte Kategorie. „Man muß mit der Unsicherheit leben lernen“, heißt vielmehr ihre Devise, die sie mit der Museums-Praxis unter Beweis stellt und als Botschaft der Kunst anbietet. Qualität entdeckt sie im „Ausdruck der Gefährdung“, im spürbaren „Krachen im Getriebe“, das für sie nach dem Wegbrechen der alten Wertmaßstäbe im Osten auch im Westen immer hörbarer wird. So versucht sie mit der Kunst sichtbar zu machen, was sie dem Museum als Programm verschrieben hat: Wie man die Situation der Verunsicherung als Chance begreift, eigene Maßstäbe zu entwickeln.

Und es kracht im Getriebe. Lustvoll läßt sich der Abschied von den Utopien der menschlichen Vernunftwerdung in den Objekten von Jörg Herold, Jürgen Schön und Kaeseberg erleben. In Herolds „Absolutem Medium“ ist eine mühlsteingroße Gipsplatte mit Kabeln und Verstärkern verbunden, als ob jemand das kulturelle Inventar von Steinzeit, Mittelalter und Hifi durcheinandergeschüttelt hätte. Anfang und Ende der Geschichte fließen auch in den „Zeugen“ von Jürgen Schön eigenartig zusammen: Fünf Werkzeugteile, leicht und weiß aus Papier geformt, erinnern im Detail an vertraute Formen, verraten aber ihre Funktionen nicht. Die „Zeugen“ romantisieren zwar ein wenig den Blick auf eine verlorene Kultur; gleichzeitig relativieren sie jedes zum Objekt erstarrte Wissen als vergänglich. In Kaesebergs vergrößerndem Modell von Zielscheibe und Wurfspeer – „Großes Spiel“ – reduziert sich das Vermögen des Menschen auf die Instinkte der Jäger und Sammler. Doch der scheinbare Primitivismus der Objekte dient nur als Vorwand für die visuelle Schlagkraft. In den metaphernreichen Skulpturen läßt sich aber auch eine Enttäuschung über den verlorenen Elan der Geschichte ablesen – in Ulf Puders „Trockenzeit“ (1992) etwa, einem grob aus dem Holz gehackten Boot, das mit müde durchhängenden Rudern und verkrümmtem Boden zum Untergang verurteilt ist.

Mit diesen Objekten, deren Ästhetik sich oft mehr an musealen Situationen der Ethnologie als an der traditionellen Skulptur orientiert, verläßt das Museum das geschlossene System der Gattungen, das bis Ende der achtziger Jahre hier nicht in Frage gestellt wurde. Als Armin Hauer, heute Kurator für Skulptur und Grafik und stellvertretender Direktor, 1985 an das Museum kam, fand er eine Skulpturensammlung vor, die „die Malerei nicht störte und wenig eigene Innovation zeigte“. Auch Brigitte Rieger-Jähner, die schon seit fast zwanzig Jahren in der 1965 gegründeten Kunstsammlung arbeitet und erst 1990 zur Direktorin wurde, gibt zu, daß der Bestand lange an einer biederen und langweiligen Ausstrahlung litt. Den guten Werken, die da waren und mit denen sie auch weiterarbeiten will, fehlte ein spannungsvolles Gegenüber, da zu viele Verbote die Ankaufspolitik regelten: Abstrakte Tendenzen durften ebensowenig erworben werden wie Arbeiten von Künstlern, die das Land verlassen hatten. Die jetzige Ausstellung verstreut dieses lange fehlende Salz in der Suppe und differenziert das Bild der Kunst aus dem Osten Deutschlands.

Allein mit einer formalen Elle gemessen, ließen sich viele Exponate der „Balance“ als Dokumentation des Abschieds vom Tafelbild lesen: eine grob zusammengenähte und übermalte Fotoleinwand von Lutz Dammbeck, eine wie ein Lappen an die Wand genagelte Leinwand von Carsten Nicolai, der wie ein übergewichtiger Papierdrache geratene „BuntflügelI“ von Ingo Regel und die Bilder von Günter Hornig und Hans Scheurecker, die sich in Figurinen und verwinkelten Skulpturen fortsetzen. Diese formale Klammer wäre für die unterschiedlichen Inhalte der Kunstwerke eher marginal, wenn sie nicht in den Augen der Kunstwächter der DDR als subversiv gegolten hätte. Jetzt erst ist die Zeit gekommen, diese Gesten von ihrem falschen Gewicht zu befreien.

Mit Volker Stelzmann und Clemens Gröszer sind die neusachlichen Maler, mit Walter Libuda und Hartmut Ebersbach die expressive Revolte vertreten. Penck und Strawalde lassen wieder der Lust auf eine Malkultur ihren Lauf, die ideologische Bindungen durch die Kaffeemühle gedreht und zähneknirschend verfrühstückt hat. Neben diesen aus dem vollen schöpfenden Malern werden mit großer Verspätung die so lange im verborgenen operierenden Altmeister der Reduktion – Hermann Glöckner und Wilhelm Müller – sichtbar, deren Werke heute oft wie sprödes Unterrichtsmaterial einer ästhetischen Erziehung durch Askese wirken.

Dieser Querschnitt zeitgenössischer Kunst des Ostens Deutschlands zeigt zugleich die jüngste Schicht der Ankäufe: „Noch nie haben wir soviel wie in den letzten drei Jahren erworben“, erzählt Brigitte Rieger-Jähner. Und das bei einer materiellen und personellen Ausstattung, mit der andere Museen Arbeit nicht für möglich halten. Ein jährlicher Ankaufsetat von 10.000 Mark bleibt auch bei freundlichem Entgegenkommen von Künstlern und Galeristen unzureichend. Mit der Wende wurde der Stellenplan von 43 Mitarbeitern auf sieben reduziert; von elf Wissenschaftlern blieben drei – Direktorin, stellvertretender Direktor und Pressesprecherin. Weder Fax noch Computer oder Kopierer stehen zur Verfügung. Dennoch wird neben der Rathaushalle, in der im vierteljährlichen Rhythmus die eigene Sammlung in neugeordneten Ausschnitten gezeigt wird, noch das „Kabinett“ in einer alten Villa mit wechselnden Einzelaustellungen, jungen Künstlern aus den neuen Bundesländern und Grafik aus Polen bespielt.

Einfach ist die Inszenierung gegenwärtiger Kunst in den Kreuzgratgewölben des gotischen Rathauses, das dem Museum als Stammhaus dient, nicht. Eine Rekonstruktion der Halle verbesserte die Raumsituation, indem ein neues System verstellbarer Hängeflächen die starren Einbauten früherer Jahre ersetzte und für eine bessere Ausnutzung des durch Bogenfenster fallenden Tageslichts sorgte. Neben dem Bund und dem Land hätte die Stadt Frankfurt ein Viertel der Umbaukosten von 800.000 Mark übernehmen müssen. Als Sponsor des kommunalen Anteils sprang jedoch die Grundkreditbank mit 121.000 Mark ein, werbewirksam überreicht zum Einzug in die neue Niederlassung der Bank in Frankfurt (Oder).

So liegt denn auch zur Ausstellungseröffnung gleich am Eingang die Pressemappe der Bank aus. Klaus Siebenhaar, Professor für Kulturmanagement, schreibt dort zur Aufgabe privatwirtschaftlicher Kulturförderung: „Im verborgenen blüht das wirklich Innovative. Der suchende Blick des Förderers ist also stärker als bisher mit Entdeckungsreisen zu einer Terra incognita verbunden.“ Eine solche hat der Vorstandsvorsitzende der Grundkreditbank, Jürgen Bostelmann, seit zehn Jahren in der Kunst der DDR entdeckt. Getreu der Unternehmensphilosophie „Bilder vom Menschen – Bilder für Menschen“ baute er seitdem eine 600 Werke umfassende Sammlung der Kunst der DDR auf, die er inhaltlich als Fortsetzung dessen empfindet, was das Frankfurter Museum präsentiert. Das jedenfalls will seinen Ruf, dort Kunst aus dem Osten Deutschlands erleben zu können, die bisher kaum über die eigenen Grenzen hinaus bekannt wurde, durch Austauschprojekte mit kleineren Museen im Westen ausbauen.

„Balance – Kunst zwischen gestern und morgen“. Museum Junge Kunst Frankfurt (Oder). Bis 31.12., Di. bis So. 11 bis 17 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen