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Olympia macht keusch

■ Nach 4:0 gegen Rußland und Erreichen des EM-Halbfinales denken die deutschen Kickerinnen bereits an Atlanta

Irgendwann als sie acht Jahre alt war, erinnert sich Birgit Prinz, haben einige Klassenkameraden sie zum Fußballtraining mitgeschleppt. Dort in der E-Jugend des 1. FC Hochstadt, irgendwo zwischen Frankfurt und Hanau, erlernte Prinz die Grundtechniken der Kickerei. Fortan durfte sie in den Knabenmannschaften bis zur C-Jugend im zentralen Mittelfeld für Ordnung sorgen, denn die Übersicht des Mädchens war erstaunlich, ihr Geschlecht eher nebensächlich.

Heute spielt die 17jährige im Sturm, eben da, „wo der Trainer mich hinstellt“. Die Position im Mittelfeld sei ihr zwar lieber gewesen, aber in der vordersten Reihe ist die Gymnasiastin, die für den FSV Frankfurt in der Bundesliga kickt, forsch bis in die Nationalmannschaft gestürmt. „Weil sie frech spielt“, wie DFB-Trainer Bisanz findet, „und im Verein viele Tore schießt.“ Bisher fehle ihr zwar noch die „mentale Beweglichkeit, die Kombinationsgabe“, aber bis Olympia soll sie eine „feste Größe im Team werden“. Vier Tore hat Prinz bei ihren bisher acht (Kurz-)Einsätzen für Deutschland erzielt, und auch am Donnerstagabend im EM-Viertelfinal-Rückspiel gegen Rußland in Osnabrück durfte die Frankfurterin in den letzten 15 Minuten ihre Kollegin Heidi Mohr vertreten. Die nämlich hatte bis dahin schon zwei Treffer erzielt, den ersten gleich nach fünf Minuten, den zweiten zum Endstand von 4:0 kurz vor der Pause, bei beiden stark begünstigt von Unsicherheiten in der russischen Abwehr. Damit hatte Routinier Mohr frühzeitig die so wichtige Halbfinalteilnahme sichergestellt: Nur die vier besten europäischen Teams sind für die Weltmeisterschaft im Juni 1995 in Schweden qualifiziert, und allein dort wiederum besteht die Möglichkeit, die Teilnahmeberechtigung für die Olympischen Spiele 1996 in Atlanta zu erwerben.

Da die deutschen Frauen, bereits im Hinspiel vor 18 Tagen in Moskau mit 1:0 siegreich, schon zur Halbzeit die Qualifikation gesichert hatten, nutzte Gero Bisanz den Vorsprung, „wie ich das immer tue, wenn wir sicher führen, um jüngere Spielerinnen internationale Erfahrungen sammeln zu lassen“. Gerade in diesen Tagen versteht Bisanz die Aufbietung des Nachwuchses auch als drohenden Fingerzeig an das Japan-interessierte Establishment.

Die jungen Damen sollen den umworbenen Neid, Fitschen, Meinert und Mohr deren Ersetzbarkeit demonstrieren. Das japanische Transportunternehmen Suzuyu flirtet heftig mit dem Quartett: 35.000 Nettomark soll jede der Bisanzschen Adlerfrauen für vier Monate J-League-Kickerei in der Werkself erhalten. Für ihre Länderspieleinsätze zahlt der DFB gerade einmal 50 Mark Tagegeld plus Spesen.

Der Halbfinalgegner wird nun morgen zwischen England und Island ermittelt, gespielt wird vermutlich im Dezember und Februar, aber beides sind schlagbare Teams, so daß die Frauen in erster Linie schon von Olympia reden. „Die Teilnahme an den Spielen“, sagt Libera Doris Fitschen, „würde ich nie gefährden.“ Bis Atlanta also kann sich der Bundestrainer trotz aller Yen-Verlockungen beruhigt zurücklehnen, denn ein Asien-Engagement, läßt er die Umworbenen wissen, sei unvereinbar mit dem nationalen Engagement. 1996 jedoch wird der Frauen-J-League bei anhaltendem Interesse die Deutschen-Invasion ins Haus stehen, denn den Fußballfrauen zwischen Elbe und Donau winkt die Entfernung des Keuschheitsgürtels: Der DFB-Frauentrainer, UEFA-Spielbeobachter, FIFA-Instructor und Fachzeitungsherausgeber Gero Bisanz wird nach Atlanta sein Engagement reduzieren und den Verband bitten, ihn von der weiteren Bundestrainertätigkeit zu entbinden.

Für Birgit Prinz allerdings fällt das letzte Fernost-Hemmnis erst ein Jahr später: Dann will sie Abitur machen. Jörg Winterfeldt

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