: Rauchende Marktwirtschaft Von Mathias Bröckers
Rauche – staune – gute Laune: Seit der Eiserne Vorhang fiel, ist Osteuropa das Eldorado westlicher Tabakkonzerne. 1988 kontrollierten sie gerade mal drei Prozent des Markts, mittlerweile sind bereits über fünfzig Prozent der Zigarettenfabriken in ihrem Besitz. Und der Markt in den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten brummt, nicht zuletzt dank des Werbe-Booms, der mit der Marktübernahme durch Westkonzerne Einzug gehalten hat. Zwar haben Tschechen, Russen und Rumänen mittlerweile Gesetze gegen die Tabakwerbung erlassen, doch werden die Vorschriften weitgehend ignoriert. Da die früheren Blockstaaten auch ohne aggressive Werbung ohnehin schon den zweitgrößten Markt für Glimmstengel (nach Asien) bildeten, stoßen die PR-Feldzüge der Tabakkonzerne auf äußerst fruchtbaren Boden. In dieser Region rauchen zwischen 55 und 70 Prozent aller Männer und 35 Prozent aller Frauen. Seit dem Fall des Kommunismus ist der Konsum stetig gestiegen. Anders als im zunehmend abstinenten Westen erwarten Marktforscher in Osteuropa bis zum Jahr 2.000 gigantische Zuwachsraten. Für Rumänien zum Beispiel sind es 46 Prozent – doch damit liegt das Land noch hinter Polen, das schon heute weltweit zu den Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Zigaretten zählt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat jetzt vorgerechnet, was dieser Umsatzboom für die Lebenserwartung in diesen Ländern bedeutet: Rauchen ist für etwa die Hälfte aller Todesfälle bei Männern mittleren Alters verantwortlich, das Risiko eines 15jährigen zu sterben, bevor er sechzig Jahre alt wird, ist in Osteuropa doppelt so hoch wie in Westeuropa. „Die westlichen Regierungen der Länder, in denen die internationalen Tabakkonzerne ihren Sitz haben, sollten Verantwortung zeigen für die wachsende Gesundheitskatastrophe“, forderte ein Krebsforscher aus Polen auf der Weltkonferenz „Tabak und Gesundheit“ in Paris. Die Konzerne werden solch frommen Wünschen was husten – mit Bronchialgewalt. Wir haben schließlich freie Marktwirtschaft, und zu deren Basics gehört seit je, zu Hause in Verruf geratenen Stoff verstärkt auswärts abzusetzen. Was schert der röchelnde Russe den Arbeitsplatz bei Reemstma.
Aber – mit Gewalt ist in Sachen Drogen gar nichts zu machen, es sei denn mit Faschismus à la Singapur, wo auf Kippenwegwerfen Handabhacken droht. Sie müssen da also schon durch, die Osteuropäer, durch ihren gesteigerten Hang zum blauen Dunst.
„Rauchen gefährlicher als Hasch!“ – Huch, was ist denn mit der Bild-Zeitung los? Hat man da etwa auch den New Scientist-Artikel über die Millionen Tabak-Toten gelesen, die alsbald ins (ost-) europäische Haus stehen (und in der Medizingeschichte festgestellt, daß nirgends ein einziger „Hasch“- Toter verzeichnet ist)? Nein – der Bild-Artikel ereifert sich über ein Urteil, das die Weitergabe von drei Kilo Haschisch nicht mehr als Verbrechen (wie Raub, Totschlag, Vergewaltigung), sondern (wegen mangelnder Gesundheitsgefährdung) als Vergehen bestraft hat. Das bringt die Drogenkrieger natürlich völlig aus dem Häuschen – die tödlichen Tabak-Deals mit Osteuropa sind dagegen keine Zeile wert. Schließlich beleben sie hier die Konjunktur.
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