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Die Berliner SPD frißt ihre Kinder

Ditmar Staffelt gibt auf: Der SPD-Fraktions- und Parteichef legt seine Ämter nieder, wirkt aber gelassen / Er ist ein Mann des Ausgleichs, aber politisches Profil gewann er nicht und scheiterte am Spagat zwischen zwei Ämtern  ■ Von Kordula Doerfler

Christine Bergmann zitterte die Stimme. Sichtlich um Fassung ringend, mußte sie als Stellvertretende Landesvorsitzende der SPD am Montag abend Stellung nehmen zum überraschenden Abtritt ihres Vorsitzenden. „Mir persönlich tut es wirklich weh, daß wir Ditmar Staffelt verlieren.“ Der, der mit seiner Erklärung für einen Paukenschlag in Partei und Fraktion gesorgt hatte, wirkte vergleichsweise gelassen. Emotional habe er sich ein wenig gequält, versuchte er Fragen abzuwehren. Und: Er habe sich schon länger mit dem Gedanken getragen, wieder in einen bürgerlichen Beruf zu wechseln. Bloß in welchen? Kein Kommentar. Und warum jetzt? Weil die Berliner Herbstferien zu Ende seien und außerdem die Bundestagswahl vorüber sei. Sollte es nicht doch einen Zusammenhang mit der Ankündigung Ingrid Stahmers geben, gegen ihn als Spitzenkandidatin antreten zu wollen? Nein, es gebe überhaupt keinen Zusammenhang. Punkt.

Die Berliner SPD frißt ihre Kinder. Auf den Tag genau zwei Jahre lang war Ditmar Staffelt Parteivorsitzender, dann gab er auf und warf alles hin. Auch sein Vorgänger schaffte es nicht viel länger. Ähnlich wie Walter Momper hat Ditmar Staffelt eine typische Ochsentour durch den Apparat hinter sich. 1989 beerbte der heute 45jährige seinen späteren Rivalen als Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus, nachdem er sich jahrelang durch die Niederungen der Partei in Tempelhof nach oben gedient hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Staffelt in der Firma Hölter Industriebeteiligungs AG gearbeitet, die Umwelttechnik herstellt, und war dort hauptsächlich für den Osthandel zuständig.

Als Fraktionschef hatte der promovierte Historiker die dankbare Aufgabe, hinter den Kulissen das ewig krachende Bündnis mit der Alternativen Liste zu kitten. Seine Fähigkeit, auszugleichen, schlichtend in Konflikte einzugreifen, kam dabei zum vollen Einsatz. Wie er später gestand, „manchmal bis an die Grenzen der körperlichen und seelischen Erschöpfung“. Hätte es ihn nicht gegeben, seine zähen Verhandlungen mit der grünen Fraktionschefin Renate Künast, wäre der rot-grünen Koalition eine noch kürzere Lebensdauer beschieden gewesen. Nach dem Scheitern der „Jahrhundertchance“ (O-Ton Walter Momper) und dem Wahldesaster der SPD im Dezember 1990 blieb Staffelt Fraktionschef und war ständigem Beschuß ausgesetzt, weil er sich privat mit seiner ehemaligen Verhandlungspartnerin liierte.

Auch sein neues Gegenüber in der Großen Koalition, Klaus Landowsky, lobte ihn als „fair, kollegial, aber insgesamt mit allen Wassern gewaschen“. Ein freundschaftliches Verhältnis, so beteuerte Staffelt, gebe es zu Landowsky nicht. Dennoch legten sie manchen Streit in der Koalition abends beim Bier bei. Krisenmanagement à la Rot-Grün war nicht mehr gefragt, sah sich die SPD doch plötzlich in der Rolle des Juniorpartners wieder, der die berühmten Kröten schlucken mußte.

Mit dem Rücktritt Walter Mompers – die Partei war nicht gewillt, seine Beschäftigung ausgerechnet beim Immobilienlöwen Ellinghaus als noch tragbar anzusehen – waren die Berliner Sozialdemokraten im August 1992 auch noch führungslos. Ein Nachfolger war, ähnlich wie heute, auf Anhieb nicht in Sicht. Wunschkandidat Wolfgang Thierse war sich zu gut für die Kärrnerarbeit an der Spree. Ditmar Staffelt hielt sich nach außen zurück: „Ich bin nicht so ein Drängeltyp.“ Dennoch liebäugelte er bereits mit dem Amt des Spitzenkandidaten für die nächsten Wahlen. Doch da gab es gravierende Einwände. Würde ihm, der nicht gerade ein programmatischer Vordenker ist, der Spagat zwischen Fraktion und Partei gelingen? Und die traditionell zerstrittenen Flügel der Berliner SPD ausgerechnet unter dem Dach einer Großen Koalition zusammenführen? Die notorischen Nörgler behielten recht.

Zwar setzte sich Staffelt im Oktober 1992 in einer Kampfabstimmung gegen Monika Buttgereit durch, aber er scheiterte mit seinem Personalpaket und fand sich eingekeilt in einen linken Landesvorstand wieder. Der Spagat wurde zur Zerreißprobe. Politisches Profil konnte der „Modernisierer“, wie er sich selber nennt, nicht entwickeln, und in der Bevölkerung blieb er trotz des blassen Regierenden Bürgermeisters wenig populär. Spätestens mit seinem Scheitern in der Heckelmann-Affäre im Juni 1994 war Staffelt in der Fraktion wie auch nach außen hin schwer angeschlagen. Mit dem „lockigen Stierchen“ war als Spitzenkandidat kein Blumentopf mehr zu gewinnen.

Was bleibt? Wieder einmal ein Machtvakuum in der Berliner SPD, das den Stand gegenüber der CDU nicht gerade verbessern wird. Aber auch das Gefühl, sich anständig zurückgezogen zu haben, nicht an der Macht um jeden Preis zu kleben und ins Bodenlose zu stürzen. Und daß es ein Leben jenseits des „einsamen Käfigs“ Politik gibt.

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