Tanz auf der Mauer im Kopf

■ Osteuropa meets the West bei den Oldenburger Kulturtagen „Prisma 2“/ Ab heute bis 30.11.

Mit dem Tanzfestival ,,Prisma 2“ erkundet die Oldenburger Kulturetage vom 3.- 2O. November unbekanntes Terrain: ,,Terra Inkognita“ durchstreift mit Theater, Tanz, Ausstellungen, Diskussionen, Lesungen und Konzerten die Kulturlandschaft Osteuropas, lotet Risse aus, tastet Grenzen an. Das Festival sucht den Schnittnunkt von Politik, Kultur und Gesellschaft:Es gebe im Osten viel zu entdecken, meint Honne Dohrmann, Programmkoordinator: “Jetzt in den Zeiten des Übergangs wissen selbst viele Einheimische nicht, wie der Hase läuft, und die Situation ist von Land zu Land unterschiedlich“. Und Organisator Bernd Wach staunte: „Wie lebendig die Szenerie dort ist, überhaupt nicht in diesem Jammertal verhaftet, wie wir es hier denken.“ Der Umbruch zwinge die alten Nationaltheater auch von heute auf morgen zu arbeiten; sie werden mit der Marktwirtschaft und der Ästhetik des Westens konfrontiert, müssen damit in ihrer eigenen Situation umgehen. Diese Widersprüche prägen auch die Kunst.

Polnische Theatergruppen wie “Osmego Dnia“, - die als Sprachrohr der Opposition konspirativ in Kirchen auftraten, spiegeln die Enttäuschung dieser Generation Die große Stunde der Veränderer ist vorbei, die Westwelt kehrt sie unter ihren bunten Ladentisch. Kein Wunder also, daß nach alten kulturellen Wurzeln gesucht wird, nach Identität jenseits aufgenpfropfter Systeme. Dabei brechen auch die vom Kommunismus lange verdeckten alten Nationalismen auf, bis hin zum Jugoslawien Krieg.

Wie sich das auf der Bühne auswirkt, erklärt Honne Dohrmann : “Bei uns im Westen kann man sehen, daß die Form händeringend nach Inhalt sucht, während ich im Osten oft den Eindruck hatte, der Inhalt sucht nach der Form.“ Stücke aus Slowenien oder Kroatien bringen den Werteverlust der Jungen durch den Schock des Bürgerkrieges sehr hart auf die Bühne. Durch diese Unmittelbarkeit sei „ein kompromißloses Tanztheater entstanden, das im Westen für Furore sorgt und Theater bei uns beeinflussen wird.“

Mit dem Schwerpunkt Polen bietet die erste Festivalwoche neben der Eröffnung einer Ausstellung polnischer Kunst (Atelierhaus Sonnenstraße. ab 3.11.) einen ersten Theaterhöhepunkt: „Osmego Dnia“ zeigt in Oldenburg die Uraufführung von „Tanze, so lange du kannst“ (4.11.). Das ,,Theatrul Odeon“ hat für den Balkanschwerpunkt der zweiten Woche sein Stück ,„... und sie legten den Blumen Handschellen an“ bearbeitet.

Zu erstenmal seit Jahren führt die Abschlußgala zu Gunsten der Akademie der Künste in Sarajewo Kroaten, Moslems und Mazedonier gemeinsam auf die Oldenburger Bühne. Die Begegnungen unter Künstlern, Publikum, Journalisten und internationalen Gästen sollen an den Mauern in den Köpfen und Herzen kratzen. Bernd Wach ist überzeugt, daß man mit dem Oldenburg-Festival herausfinden kann, „daß hier Kultur möglich ist, die die engen Provinzgrenzen sprengt.“

Marijke Gerwin