: Das ist die Unabhängigkeit der Justiz
■ Rechtsprechung ist eine Sache der Auslegung - Hammer Oberlandesgericht: "Ausländer-raus!"-Rufe sind Volksverhetzung / Göttinger Landgericht spricht einen Polizisten frei, der "Hitlergruß" zeigte
Hamm/Göttingen (taz/dpa) – Mit zwei Urteilen zeigten gestern die Richter eines Oberlandesgerichts und eines Landgerichts auf, was das „gemeine Volk“ unter der Unabhängigkeit der Justiz verstehen darf. In Hamm entschied das Oberlandesgerichts (OLG), daß der Ruf „Ausländer raus!“ den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt. In Göttingen wurde dagegen ein Polizist freigesprochen, der den „Hitlergruß“ gezeigt hatte.
Mit ihrem Urteil verwarfen die Richter des OLG in Hamm eine Entscheidung des Paderborner Landgerichts vom Februar. Die dortigen Richter hatten drei Rechtsradikale, die 1992 bei einem rechten Aufmarsch vor einem Aussiedler- und Asylbewerberheim in Bad Driburg „Ausländer raus!“ und „Wir wollen keine Asylantenheime“ gegrölt hatten, vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen. Nun muß eine andere Kammer des Paderborner Gerichts neu verhandeln. Nach Meinung der Hammer Richter könnte schon allein der Ruf „Ausländer raus!“ als Angriff gegen die Menschenwürde betrachtet werden und somit dem Straftatbestand der Volksverhetzung genügen. Die Äußerung beinhalte eine unüberhörbare Drohung, die Entfernung von Ausländern aus Deutschland auch mit Gewalt durchzusetzen. Damit werde den ausländischen Mitbürgern ihr uneingeschränktes Lebensrecht abgesprochen.
In Göttingen dagegen sprachen die Richter am Landgericht einen Polizisten zum zweiten Mal frei, der den „Hitlergruß“ gezeigt hatte. Der frühere Schüler der Landespolizeischule in Hann. Münden soll im August 1992 bei einer Feier mit erhobenem rechten Arm, „Heil Hitler“-Rufen und dem Satz „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ Gäste begrüßt haben. Das Gericht sah den Vorwurf der Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen als nicht gegeben an, teilte die Staatsanwaltschaft gestern mit. Nach der Rechtsprechung ist eine Tat „öffentlich“, wenn sie von mehr als zwei mit dem Täter nicht in persönlicher Beziehung stehenden Menschen wahrgenommen wurde. Für die Richter war aber nur bei zwei „fremden“ Gästen zweifelsfrei erwiesen, daß sie den Hitlergruß bemerkt hatten. Damit war das ganze ein „nichtöffentlicher Hitlergruß“ und somit nicht strafbar. Gegen den Freispruch kündigte die Staatsanwaltschaft Revision an. Der 21jährige Beamte arbeitet mittlerweile bei der Bereitschaftspolizei. Der zuständige Kommandeur Klaus Schütze will disziplinarisch gegen ihn vorgehen.
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