Der Schmücker-Prozeß brach alle Rekorde

■ In 16 Jahren Verhandlung konnte der Mord nicht aufgelärt werden / Der Berliner Verfassungsschutz verhinderte von Anfang an die Wahrheitsfindung

Nach 591 Verhandlungstagen in über 15 Jahren, vier Verfahrensdurchgängen und Kosten von mindestens zehn Millionen Mark schließt das Berliner Landgericht am 28. Januar 1991 endgültig die Akten im längsten und skandalträchtigsten Prozeß der deutschen Justizgeschichte. Der Mordfall Schmücker, befindet die Kammervorsitzende Ingeborg Tepperwien, „ist auch heute, nach 16 Jahren, nicht aufgeklärt, und er wird es wohl niemals werden“. Tepperwiens Klage richtet sich vor allem an die Berliner Verfassungsschützer – jahrelang haben die Schlapphüte die Existenz zweier V-Männer verheimlicht, die in die Ermordung Schmückers unmittelbar verwickelt waren.

Im Juni 1974 wird Ulrich Schmücker im Berliner Grunewald erschossen aufgefunden. Kurz vor seinem Tod wurde der Student als Spitzel enttarnt. Die Aufklärung der Tat scheint anfangs einfach. Sechs Verdächtigte werden festgenommen. Einer, der Kronzeuge Jürgen Bodeux, legt ein Geständnis ab. Nach 37 Verhandlungstagen endet der erste Prozeß mit „Lebenslang“ für die Hauptangeklagte Ilse Schwipper.

Doch die Verteidiger gehen erfolgreich in Revision, wie auch später im zweiten und dritten Verfahrensdurchlauf. Zurückgehaltene Verfassungsschutzakten, immer wieder verweigerte Aussagegenehmigungen – alles wird unternommen, die Rolle des Geheimdienstes vor Gericht zu verschleiern. Erst im dritten Anlauf läßt sich die Dimension seiner Verstrickung erahnen: Zehn Jahre nach dem Mord stellt sich heraus, daß der Verfassungsschutz bereits seit 1974 im Besitz der Tatwaffe ist. Übergeben hatte die Waffe der V- Mann „Wien“. Und der ist, wie sich heraustellt, der angeblich flüchtige Tatverdächtigte Volker Weingraber. Ein Untersuchungsausschuß wird eingesetzt – und der gräbt einen Berg an Akten hervor, die der Verfassungsschutz seit vielen Jahren Gericht und Verteidigern verheimlicht.

Seinen Höhepunkt erreicht das illegale Zusammenspiel von Schlapphüten und Strafverfolgern 1988, als V-Mann „Flach“ enttarnt wird. „Flach“, das ist Christian Hain, ein enger Freund der Angeklagten Schwipper – er forscht die Rechtsanwälte Schwippers aus. V- Mann „Flach“ ist Spitzenquelle. Durch seine Hände gehen Waffen und Sprengstoffe, über geplante Befreiungsaktionen ist er ebenso unterrichtet, wie er am Schmuggel von Kassibern beteiligt ist. Das ganze Ausmaß seiner Aktivitäten ist eines der Geheimnisse der Verfassungsschützer. Zum Komplex „Schmücker“ liefert er an die 500 Seiten Bericht. Der Rest findet sich in einer „Fallakte Wannsee“: Sieben Bände mit jeweils rund 400 Seiten. Genug heikler Stoff offenbar, der „Flach“ im Poker um weitere Alimente nutzt. Wolfgang Gast