: Oberstufe fühlt sich bedroht
■ Gestern Schulstreik in Bremen-Nord, heute Demonstration gegen „Mittelalter“ / Behörden-Sparziel: 50 LehrerInnenstellen weniger
Mit vollmundigen Parolen wird nicht gegeizt, wenn sich heute SchülerInnen und manche LehrerIn gegen Einsparungen in der gymnasialen Oberstufe zur Demonstration auf dem Marktplatz sammeln. „Nicht zurück ins Mittelalter“ heißt die Forderung der Gesamtschülervertretung (GSV), „ein wesentlicher Bestandteil der Schulreform der 70er Jahre wird zerstört“, lautet die Einschätzung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Gemeint sind Überlegungen der Bildungsbehörde, wie das seit dem Frühjahr bekannte Sparziel im Oberstufenbereich in die Praxis umgesetzt werden kann.
Rund 50 LehrerInnen-Stellen sollen danach bis zum übernächsten Schuljahr 1995/96 in der gymnasialen Oberstufe eingespart werden. In einem internen Diskussionspapier der Bildungsbehörde wird angedeutet, wie das gehen könnte: „Fortfall der Leistungsfächer Spanisch, Latein, Griechisch, Polnisch, Russisch, Musik, Pädagogik, Religion, Soziologie, Ernährungswissenschaft, Elektrotechnik, Maschinenbau, Bautechnik“ heißt es dort. Und: „Bedarfsminderung von einem Grundkurs pro Schulstandort und Jahrgang“. Verbunden sind diese Vorschläge mit einer grundsätzlichen Kritik am bestehenden Kurssystem der gymnasialen Oberstufe: „Insgesamt ist die Quote der scheiternden Schüler seit Jahren sehr hoch“, heißt es dort, „und vieles spricht dafür, daß das derzeitige System hierauf nicht überzeugend zu reagieren vermag. Ein System mit einem wesentlichen Unterrichtsanteil in festen Lerngruppen dürfte wesentlich bessere Voraussetzungen zur Minderung dieser Probleme bieten.“
Insbesondere in diesem Satz sehen GSV und GEW den Anfang vom Ende der freien Kurswahl in der gymnasialen Oberstufe. „Es blieben mit Ausnahme der Leistungsfächer Sport und Wirtschaft nur die Kurse und Leistungsfächer erhalten, die zum traditionellen gymnasialen Kanon gehören“, heißt es in einer Stellungnahme der GEW-Fachgruppe Gymnasien, „so daß bis auf wenige Sprenkel das Gymnasium der 50er Jahre inhaltlich restauriert wäre.“ Die Auswirkungen eines solchen Sparkonzeptes dürften nach Meinung der GEW „nicht ernst genug“ genommen werden: SchülerInnen würden dann „in der Oberstufe mit frustrierten, demotivierten, initiativlosen Lehrkräften zu tun haben.“
Ganz so ernst wie in dieser gewerkschaftlichen Stellungnahme scheinen die drohenden Personalkürzungen in den Schulen selber allerdings nicht genommen zu werden. „Dann müßte wohl der Französisch-Leistungskurs gestrichen werden“, ahnt Werner Tanke, Oberstufenleiter im SEK-II-Zentrum an der Nord-Bremer Bördestraße. Für den hätten sich allerdings auch bisher meist noch nicht einmal zehn SchülerInnen gefunden. Und Wilfried Stille, Leiter des Gymnasiums Hamburger Straße: „Wir haben sehr viele Schüler, deswegen würden die Einschnitte in das Kursangebot wohl nicht so stark.“ Eventuell müsse der Physik-Leistungskurs gestrichen werden, doch der finde sowieso kaum noch mehr als acht TeilnehmerInnen.
Und Birgitt Rambalski, Sprecherin von Bildungssenator Scherf, warnt: „Das Papier gibt keineswegs die Meinung der Behörde wieder.“ Es handele sich dabei lediglich um einen Diskussionsbeitrag dreier Mitarbeiter, konkrete Sparkonzepte gebe es überhaupt noch nicht. Die sollten jetzt vielmehr erst einmal mit den betroffenen Schulen ausführlich besprochen werden. Rambalski: „Dazu hat gerade die allererste Sitzung stattgefunden.“
So schlecht, wie von der GEW-Fachgruppe geschildert, sei die LehrerInnenversorgung in der gymnasialen Oberstufe nämlich keineswegs. Im Gegenteil, meint zum Beispiel der bildungspolitische Sprecher der Grünen, Wolfram Sailer: „Die haben doch eine hervorragende Lehrerausstattung. Die Überversorgung kostet jährlich fünf Millionen Mark.“ Auch die durchschnittliche SchülerInnenzahl, zum Beispiel in allen Bremer Fremdsprachen-Grundkursen außer Englisch, liegt mit 10,6 nicht unbedingt an der absoluten Obergrenze des Zumutbaren.
Zur Vorbereitung der heutigen Demonstration haben gestern bereits alle gymnasialen Oberstufen in Bremen-Nord gestreikt. Statt Unterricht fanden im SEK-II-Zentrum Bördestraße Arbeitsgruppen zur Zukunft des Kursangebots statt. In der Bremer Innenstadt blieb es dagegen gestern ruhig. „Die waren in Bremen-Nord einfach schneller“, erklärte sich das Björn Fecker, GSV-Vorstandsmitglied. Angaben über die zu erwartende Teilnahme an der Demonstration, die heute um 10.30 Uhr auf dem Marktplatz stattfindet, konnte er deshalb gestern noch nicht machen. Ase
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