: Eine Präsidentin für Sri Lanka
■ Bei den heutigen Wahlen tritt Premierministerin Kumaratunga gegen die Witwe des ermordeten Kandidaten an
Delhi (taz) – Sri Lanka wählt am 9.November einen neuen Präsidenten. Und das wird mit größter Sicherheit eine Präsidentin sein. Zwar sind vier der sechs Kandidaten Männer, aber sie spielen im Zweikampf zwischen Premierministerin Chandrika Kumaratunga (People's Alliance) und Srima Dissanayake von der „United National Party“ (UNP) nur eine marginale Rolle.
Die gesteigerte Bedeutung der Frau im politischen Prozeß, die diese Konstellation suggeriert, wird allerdings dadurch eingeschränkt, daß beide Frauen Witwen sind. Beide traten zudem erst in die Öffentlichkeit, nachdem ihre Ehemänner politischen Attentaten zum Opfer gefallen waren. Chandrika Kumaratunga hatte nach dem Mord an ihrem Mann 1989 aus Sorge um ihre zwei Kinder sogar das Land verlassen. Nach ihrer Rückkehr 1992 machte sie jedoch rasch Karriere, nicht zuletzt weil die „Sri Lanka Freedom Party“ eine Familiendomäne war, die von ihrer Mutter, der ehemaligen Regierungschefin Sirimavo Bandaranaike, beherrscht wurde.
Noch kürzer war die Karriere der UNP-Aspirantin: Ihre Kandidatur ist erst zwei Wochen alt, nachdem ihr Mann Gamini Dissanayake am frühen Morgen des 24. Oktober während einer Wahlkundgebung in Colombo einer Bombenexplosion zum Opfer gefallen war.
Bereits sofort nach ihrer Wahl zur Premierministerin am 16.August hatte Chandrika Kumaratunga erste bedingungslose Gespräche mit den tamilischen LTTE-Rebellen begonnen.
Ein friedliches Ende des Tamilenkonfliktes
Und sie machte den Kampf um die Präsidentschaft zu einem Referendum für eine friedliche Lösung des ethnischen Konflikts und damit ein Verhandlungsmandat mit der LTTE. Der Mord an Dissanayake drohte ihr dann diese Plattform unter den Füßen wegzuziehen: Alle Indizien wiesen auf eine LTTE- Täterschaft hin, und die Bombe explodierte nur wenige Stunden bevor im Hauptquartier der LTTE eine zweite Gesprächsrunde stattfinden sollte. Die UNP, ohnehin geschwächt durch zahlreiche Attentate auf ihre Spitzenleute, sah ihre einzige Gewinnchance darin, die 51jährige Witwe Dissanayakes auf den Schild zu heben und – noch bevor die polizeilichen Aufklärungen abgeschlossen waren – die LTTE zur Täterin zu erklären.
Trotz massiven Drucks von Opposition und Öffentlichkeit hielt Frau Kumaratunga an ihrer Weigerung fest, die LTTE zu verurteilen. Das Ausbleiben von antitamilischen Ausschreitungen bestärkte sie darin, und in ihren letzten Kundgebungen benützte sie das Attentat als Argument für die Notwendigkeit einer friedlichen Verständigung mit den Tamilen. Ein Sieg würde der 46jährigen Chandrika Kumaratunga den Rücken für weitere politische Schritte stärken.
Als Präsidentin wäre sie zudem mit einer großen Verfassungsmacht ausgestattet, welche ihr ein solches Vorgehen erleichtern würde. Allerdings hat sich Kumaratungas People's Alliance in ihrem Manifest ausgerechnet zu einer sofortigen Abschaffung des Präsidialsystems verpflichtet, mit einer gleichzeitigen Stärkung der Parlamentsgewalt. Dort verfügt die Regierung aber nur über eine hauchdünne Mehrheit. Sie ist zudem auf die Unterstützung gemäßigter Tamilenparteien angewiesen, die direkten Verhandlungen mit der LTTE sehr mißtrauisch gegenüberstehen.
Es wäre daher wenig verwunderlich, wenn Chandrika Kumaratunga wenig Eile zeigen würde, ihre Macht freiwillig zu beschneiden, wenn sie sie einmal errungen hat. Dasselbe gilt für die UNP, welche im Fall eines Sieges die präsidiale Verfassungsmacht kaum aus der Hand geben würde, nachdem sie in den Parlamentswahlen in die Opposition versetzt wurde. Sri Lanka würde dann, nachdem es bereits die erste Premierministerin der Welt gestellt hatte, mit einem Kondominium von zwei Witwen eine weitere Weltpremiere feiern. Bernard Imhasly
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