: Und führe uns nicht in Versuchung
■ Mutter Teresa liebt den Ruhm, hat dubiose Freunde und gibt das Geld lieber für Klöster als für die Armen Kalkuttas aus, berichten britische Medien
Das walnußartige Gesicht und die stets zum Gebet zusammengelegten Hände sind zum Symbol für Wohltätigkeit in der Dritten Welt geworden. Manchmal hat es den Anschein, als seien ihre Fingerspitzen an der Nase festgewachsen. Sie sei eine lebende Heilige, sagen ihre Anhänger. Der Fernsehjournalist Christopher Hitchens hält sie dagegen für einen Höllenengel: Mutter Teresa sei ein Produkt des Medienrummels, gepaart mit mittelalterlichem Aberglauben. Hitchens halbstündiger Dokumentarfilm „Hell's Angel“, der am Dienstag abend im britischen Channel 4 lief, hatte bereits im Vorfeld die katholische Kirche in Alarm versetzt.
Hitchens führt den Mutter-Teresa-Mythos auf das Jahr 1969 zurück. Damals drehte die BBC einen Dokumentarfilm in Kalkutta. In Teresas „Haus für die sterbenden Notleidenden“ war es recht dunkel, erinnert sich Kameramann Ken McMillan, aber man drehte mit Filmmaterial, das gerade erst auf den Markt gekommen war. McMillan war überrascht, wie hell und deutlich die Aufnahmen waren, als das Material entwickelt war. Filmemacher Malcolm Mugridge sah darin ein Wunder: „Es ist göttliches Licht!“ A Star was born. Teresa ist eine Erfindung der westlichen Welt, sagt der indische Sunday Times-Korrespondent Mihir Bose: „Sie ist eine von uns, und sie tut irgend etwas – das beruhigt das Gewissen.“ Die Zustände in dem Sterbehaus der katholischen Fundamentalistin sind jedoch alles andere als mildtätig. So werden gebrauchte Injektionsnadeln vor der Wiederverwendung kalt abgespült, Infusionslösungen fehlen, und an Medikamenten stehen lediglich leichte Schmerzmittel zur Verfügung. Die Krankenschwester Mary Loudon, die früher in dem Haus gearbeitet hat, berichtet von einem 15jährigen, der sterben mußte, weil es keine Antibiotika gab. „Sie wollten ihn nicht ins Krankenhaus bringen, weil sie damit einen Präzedenzfall geschaffen hätten“, sagt Loudon.
Ohnehin ist Mutter Teresa recht selten in Kalkutta. Statt dessen widmet sie sich ihrem weltweiten Kreuzzug gegen Abtreibung, der „größten Gefahr für den Weltfrieden“, wie sie es nennt. Den Iren nahm sie bei ihrem Besuch vor ein paar Jahren gleich noch das Versprechen ab, niemals Verhütungsmittel auf der Grünen Insel zuzulassen. Bei der Auswahl ihrer Verbündeten ist sie nicht wählerisch. Von Ronald Reagan ließ sie sich die US-Freiheitsmedaille umhängen und staunte: „Ich wußte gar nicht, daß sie so ein Menschenfreund sind.“ Überrascht war sie auch von Haitis Diktator Baby Doc Duvalier, der ihr 1980 die Medaille der Ehrenlegion verlieh. „Noch nie habe ich arme Menschen getroffen, die ein so vertrautes Verhältnis zu ihrem Staatschef haben wie hier bei den Duvaliers“, sagte sie. Die beiden Millionenbetrüger Robert Maxwell und Charles Keating gehörten ebenfalls zu ihren Geldgebern. „Der Teresa- Kult ist inzwischen zum missionarischen Multi mit zig Millionen Jahresumsatz geworden“, sagt Hitchens. „Wenn man das Geld in den Bau eines Krankenhauses in Kalkutta stecken würde, könnte es dort tatsächlich etwas bewirken.“ Doch Teresa investiert lieber in die Ausdehnung ihres Empires, die „Missionare der Wohltätigkeit“ verfügen über 500 Niederlassungen – sprich Klöster – in 105 Ländern. „Beautiful“, sagt Teresa. Für die Tausenden Opfer des Chemie- Multis Union Carbide im indischen Bhopal hält sie einen guten Rat bereit: „Vergebt ihnen.“ Hitchens vergibt dem „Hell's Angel“ jedoch nicht: Nur ein völliger Zusammenbruch der Kritikfähigkeit könne erklären, so sagt er, daß so viele auf die „Demagogin, Obskurantistin und Dienerin weltlicher Mächte“ hereingefallen sind. Ralf Sotscheck
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