„... am besten in den Kopf schießen“

■ Über Haß, Wut und Politikerverdrossenheit der Wähler in den USA

Schimpfen ist sein Beruf, und seinen Beruf liebt Rush Limbaugh über alles. Als Radio-Talk-Show- Moderator geht er tagtäglich drei Stunden auf Sendung und drischt auf seine Lieblingsfeinde ein: Feministinnen, die er auch schon mal als „Feminazis“ tituliert, Bürgerrechtler, Vegetarier, Schwulen- und Lesbengruppen, Liberale im allgemeinen und die Clintons im besonderen. Rund 20 Millionen Menschen hören ihn mindestens einmal pro Woche.

Wenn Limbaugh die Telefonleitungen öffnet, dann nehmen seine ZuhörerInnen dieses Forum dankbar als Spucknapf in Anspruch. Sie fluchen auf den „Ehebrecher“ und „Drückeberger“ Bill, die „Sozialistin“ Hillary, auf die Verschwörung der „liberalen Lobby“ in Washington, die für alles verantwortlich ist – vom Zerfall traditioneller Familienstrukturen bis zur „größten Steuererhöhung in der US-Geschichte unter Clinton“.

Hüpft man ein paar Frequenzen weiter, dann landet man bei Gordon Liddy, der rachsüchtige Waffenbesitzer berät, wie sie am besten mit den jüngsten Waffengesetzen der Clinton-Administration fertig werden. Wenn Polizeibeamten zum Einsammeln verbotener Waffen anrücken, könne man, so Liddy, getrost durchladen. „Am besten in den Kopf schießen.“

Wer sich zur Abwechslung im Fernsehen Jerry Falwells „Old Time Gospel Hour“ anschaut, der kann per Anruf und Kreditkarte ein Video bestellen, in dem Clinton der Beihilfe an mehreren Morden beschuldigt wird. Für Memorabiliensammler gibt es vom Taschenbuch mit Anti-Clinton-Witzen bis zum T-Shirt mit dem Aufdruck „Wo ist Lee Harvey Oswald, wenn man ihn wirklich braucht?“ mittlerweile alles zu erstehen, was Verachtung für die First Family zum Ausdruck bringt. Bei Kundgebungen von Clinton-Anhängern für die Gesundheitsreform präsentierten sich Gegner demonstrativ mit dem Colt im Gürtel oder warfen Tomaten und Eier.

Nun lauscht die große Mehrheit der AmerikanerInnen weder Limbaugh oder Liddy, noch würde sie einen Cent für ein Video aus dem Hause Falwell ausgeben. Und den Ruf nach Lee Harvey Oswald fänden die meisten vermutlich geschmacklos bis empörend. Doch solche martialischen Äußerungen des politischen Unmuts fallen nicht mehr im Hinter- oder Wohnzimmer, sondern auf Parteitagen und in Radio-Talk-Shows – zum Erschrecken vieler. „Was wir gerade beobachten“, sagt die US-Journalistin Doris Kearns Goodwin, „ist der Niedergang des politischen Dialogs in diesem Land.“

Doch mit einer schlüssigen Erklärung für die Ursachen dieser neuen „Politics of Hate“ (Washington Post) tut man sich schwer. Zukunftsangst münde in Wutausbrüche gegen Politiker, glaubt Goodwin. Eine aktuelle Meinungsumfrage der New York Times ergab, daß 57 Prozent der Befragten die Zukunft des Landes pessimistisch sehen. 77 Prozent meinen, man könne der Regierung in Washington nur manchmal oder gar nicht trauen. Nur 28 Prozent konnten den gewählten Vertreter ihres Wahlkreises im Repräsentantenhaus nennen.

Inmitten dieser Anti-Stimmung gedeiht Propaganda – zum Beispiel die Behauptung der Republikaner, Clinton habe die „größte Steuererhöhung in der amerikanischen Geschichte“ zu verantworten. Ausgerechnet das Wall Street Journal, jeglicher Clinton-Sympathien unverdächtig, rechnete den Konservativen vor, daß die Mehrheit der AmerikanerInnen unter Clinton Steuererleichterungen in Anspruch nehmen konnte. Im übrigen habe der Präsident eine überraschend „busineßfreundliche Politik“ betrieben. Wie Clinton im Wahlkampf 1994 trotzdem zum Inbegriff des „alten Demokraten“, des „Liberalen“ und „Verschwenders von Steuergeldern“ geraten konnte – diese Frage dürfte KommentatorInnen, PolitologInnen und vor allem die Demokratische Partei auf längere Zeit beschäftigen.

Niemand verstand es besser, diese Sentiments für seine Partei auszunutzen, als Newt Gingrich, bislang stellvertretender Vorsitzender und „Einpeitscher“ der Minderheitsfraktion im Repräsentantenhaus und zukünftiger Vorsitzender der Kammer. Gingrich nutzte sogar das große Mediendrama der letzten Tage, die landesweite Fahndung nach zwei angeblich entführten Kleinkindern in South Carolina, für den republikanischen Wahlkampf.

Neun Tage lang hatte die 23jährige Mutter, gerade geschieden und in Geldnöten, vor laufenden Kameras an einen imaginären schwarzen Täter appelliert, das Leben ihrer Söhne zu schonen, bis sie gestand, die beiden selbst getötet zu haben. Der Fall beinhaltete alles, was derzeit den öffentlichen Diskurs in den USA beherrscht: die Angst vor Gewalt – implizit verbunden mit der Angst vor schwarzen Männern –, den Zerfall der Familie, die anfängliche Sympathie mit einem Opfer, das sich schließlich als Täter erweist. „Die Mutter, die ihre Kinder umgebracht hat“, erklärte Gingrich am Wochenende, „erinnert jeden Amerikaner daran, wie krank diese Gesellschaft ist und wieviel geändert werden muß. Wer Veränderung will, muß republikanisch wählen.“ Ob Gingrich diese „empörende“ Attacke (O-Ton Al Gore) genutzt hat, läßt sich schwer sagen. Geschadet hat sie ihm jedenfalls nicht. Newt Gingrich wurde mit 64 Prozent der abgegebenen Stimmen in seinem Wahkreis wiedergewählt.