: Der Senat und seine Ver-Wicklungspolitik
■ Konzeptionslosigkeit ist das herausragende Kennzeichen der Hamburger Entwicklungszusammenarbeit mit Ländern der „Dritten Welt“ Von Anja Desai
Daß Hamburg das Tor zu Welt ist, ist bekannt. Daß Hamburg Entwicklungspolitik betreibt, ist weniger bekannt. Wie Hamburg Entwicklungspolitik gestaltet, ist nahezu unbekannt. Im Jahresbericht des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZE) wird das Bundesland Hamburg mit der stolzen Summe von knapp 30 Millionen Mark für Entwicklungshilfeleistungen aufgelistet. Denn „spätestens seit Rio ist die besondere Verantwortung der Industrienationen beim Kampf gegen weltweite Armut und bei der Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen endlich wieder auf der Tagesordnung“ betont Thomas Mirow, in Hamburg Stadtentwicklungssenator, dem sinnigerweise das Referat Entwicklungszusammenarbeit der Senatskanzlei unterstellt ist.
Für die allgemeine Öffentlichkeit scheint dieses Referat mit einer Verfügungsgewalt über nur 13,8 Prozent des Entwicklungshilfeetats die Entwicklungspolitik der Stadt zu gestalten. Tatsächlich sind aber eine Vielzahl von Behörden und Abteilungen an entwicklungspolitisch relevanten Entscheidungen beteiligt. Allein die Wissenschaftsbehörde finanziert mit knapp 20 Millionen Mark (1992) die Studienplatzkosten für Studierende aus Entwicklungsländern. Der zweitgrößte Posten im Etat macht die entwicklungsländerbezogene Forschung aus; dazu zählt beispielsweise die Arbeit des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin oder die Arbeit des Deutschen Übersee-Instituts. Weitere Posten bilden die Stipendien für Studierende und Fachkräfte aus Entwicklungsländern sowie entwicklungspolitische Maßnahmen wie die der Bildungsarbeit in Hamburg.
Die „typische Entwicklungshilfe“, die im Ausland stattfindet, macht nur 3,6 Prozent der von Hamburg geleisteten Aufwendungen aus. 30 Millionen Mark werden in Hamburg als Entwicklungshilfeleistungen deklariert, die nach dem Gießkannenprinzip und nach haushaltspolitischen Gesichtspunkten durch sieben verschiedene Behörden verteilt werden. Es fehlt jedoch an jeglicher institutionalisierter Koordination der Entwicklungspolitik, so daß höchstens das Fehlen einer Konzeption das Kennzeichen einer originär hamburgischen Politik sein kann.
Wenn Entwicklungspolitik nicht als politische (Querschnitts-)Aufgabe begriffen wird, wie sieht dann eine Entwicklungszusammenarbeit aus? Neben Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Nord-Süd finanziert der Senat Projekte in vier Schwerpunktländern – Tanzania, Mozambique, Vietnam und Nicaragua. Gemeinsam ist ihnen, daß sie zu den Ländern mit dem geringsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt gehören. Die Auswahl der Staaten beruht aber auf ganz unterschiedlichen Faktoren: Auf den Schwierigkeiten der Frontstaaten Tanzania und Mozambique mit dem ehemaligen Apartheid-Regime in Südafrika, auf dem Druck der Hamburger Bevölkerung für eine Städtepartnerschaft mit León in Nicaragua und auf dem sicheren Wissen, daß Vietnam zu den ökonomisch aufstrebenden Staaten Südostasiens gehören wird.
Es stellt sich die Frage, was das für Projekte sind, die „Hilfe zur Selbsthilfe für die Ärmsten“ (Broschüre Hamburg und seine Städtepartnerschaften) bringen sollen? Der Senat finanziert u.a. Nichtregierungsorganisationen (NROs), die vor allem in León armutsbekämpfende Maßnahmen als Projektträger durchführen. Wie es in einer Broschüre des Senats über Hamburgs Städtepartnerschaften heißt: „Dabei unterstützt Hamburg sämtliche Gruppen und Initiativen mit Zugang zu Partnern in der Dritten Welt, was außerdem umfangreiche Eigenleistungen von Hamburger Bürgern mobilisiert. Die Projektträger leisten Informations- und Öffentlichkeitsarbeit und verbreiten so den Gedanken einer solidarischen Zusammenarbeit mit den Ländern der Dritten Welt“.
Dies läßt die NROs regelmäßig strukturelle Förderung einklagen: Denn wessen Logistik und Mobilisierungseffekte man benutzt, dessen Strukturen sollte man unterstützen. Dank „der umfangreichen Eigenleistungen der Hamburger Bürger“ kann sich der Senat stattdessen gemeinsam mit der Handelskammer Hamburg auf die wirtschaftlich ertragreicheren Felder der Entwicklungszusammenarbeit begeben. Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit werden wirtschaftliche Kontakte zu Vietnam – der Republik im Aufbruch – geknüpft, die, von kulturellen Veranstaltungen gerahmt, öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzt werden. Heraus kommt dabei ein Sammelsurium an Aktivitäten, Plänen und Projekten. Es fehlt im Senat an jeglichen Kriterien für die Entscheidungsfindung über die Finanzierung und Förderung von Projekten im Ausland.
Was für den Senat gilt, gilt aber auch für die privaten Initiativen. Eine gemeinsame Abstimmung ist selten. Wenn Senator Mirow über neue Projekte in León spricht oder einen offiziellen Akt der Spendenübergabe für ein Projekt in Mozambique besucht, vollzieht sich das überwiegend nach persönlichen Maßgaben und nicht nach transparenten und entwicklungspolitisch abgeklopften Kriterien. „Solidarische Zusammenarbeit mit den Ländern der Dritten Welt“ verlangt jedoch eine konzeptionelle Ausgestaltung und nicht die Maßgabe der Beliebigkeit.
Die Einbeziehung von NROs und anderen Professionellen der Entwicklungszusammenarbeit als kompetente Berater für entwicklungspolitische Fragen des Senats ist überfällig. Die Frage, ob diese Maßnahmen tatsächlich dem Ziele des solidarischen Zusammenlebens überhaupt dienen, müssen alle Akteure jedoch noch beantworten.
Andere Kommunen haben mit der Einrichtung eines entwicklungspolitischen Beirats erste Maßstäbe gesetzt. Vielleicht kann der Senat dort Anregungen bekommen, wie Entwicklungspolitik gestaltet werden kann.
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