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Die Lebensspanne

■ Sorgfältige Kompromisse: Peter Hujars Portraits von Menschen und Tieren

Alle New Yorker Fotografen von Bedeutung hatten mit dem Modejournalismus zu tun. Einige sind ihm wieder entkommen, wie Robert Frank und Peter Hujar, andere haben ihn als Zugang zur Welt des Luxus und der Moden genutzt, wie Richard Avedon, der sich jetzt als wichtigster Fotograf der Welt feiern läßt. Aber die Wichtigkeit eines Fotografen läßt sich nicht daran messen, wie wichtig die Leute sind, die auf den Bildern zu sehen sind.

Auch Peter Hujar, der im Oktober 1934 in einer Durchschnittsstadt in New Jersey zur Welt kam und im November 1987 in New York City starb, hat ein paar Berühmtheiten fotografiert: Susan Sontag im Rollkragenpulli, fast brustlos, auf einem grauen Bett liegend, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, so daß in dem an Detail und Struktur armen Bild das Gesicht der Zweiundvierzigjährigen reich, plastisch und warm aus der Bildmitte strahlt: Intellektualität gleich Schönheit.

Mit ähnlichen Mitteln und gleicher Würde hat er aber auch einen bulligen, unglaublich faltenreichen Hund portraitiert oder „Penny – Street Person“ zu Beginn der Reagan-Ära im Licht des Studios in einen orientalischen Fürsten verwandelt. Peter Hujars Portraits sind sorgfältig ausgearbeitete Kompromisse zwischen den Gezeigten und dem Zeigenden, weshalb die Bilder aus der schwulen Subkultur – Transvestiten vor allem – die schwächsten sind. Hujar hat keinen Modus der Enttarnung; seine Kamera ist keine Kanone und sein Bild ist kein Schuß.

Deshalb sind die Grenzen von Portrait und Akt auch mühelos und fließend – die von Wahnsinn und Normalität übrigens auch. Robert Wilson, 1975 fotografiert, sieht mit seinem leicht unterhalb der Linse arretierten Blick, in einem etwas zu gründlich gebügelten (oder noch nicht gewaschenen) Hemd vor einer eigentümlich wolkigen Wand schon eher „am Rande“ aus, während die Patienten eines psychiatrischen Krankenhauses mindestens Schriftsteller sein müßten, und vielleicht sind sie es auch.

Schade, daß der neue retrospektive Bildband aus dem Scalo Verlag den berühmten „Carlos“ nicht zeigt, den jungen Mann, der auf einem Stuhl sitzend sein mächtiges Glied zeigt (Herlinde Koelbl hat das Motiv später aufs Peinlichste plagiiert). Denn daran sieht man Hujars Tendenz, im eigenen kahlen Loft hinter der Kamera fast zu versacken und dem anderen die schäbige Bühne zur Offenbarung dessen, was er für sein Selbst halten mag, zu überlassen.

Das Buch, das Retrospektiven in Holland und in der Schweiz begleitet hat, mischt sehr effektvoll die stillen Portraits mit wenigen Stadtansichten aus New York und mit Bildern, die auf dem Lande gemacht wurden. Es ist eher selten, daß Pendants sich wirklich ergänzen – statt die Kraft der einzelnen Bilder auszulöschen –, aber die Doppelseite mit dem papieren leuchtenden Busch links, auf einer Lichtung, und dem samtenen Teppich rechts funktioniert ganz ausgezeichnet. Der Teppich wölbt sich, wie ein kostbares Gewand, gegen eine Phalanx der immer verbeulten Mülltonnen der Stadt New York. Hujar ist gewiß nicht das gewesen, was man einen Fotografen von „Stadtlandschaften“ nennt, aber die hellen Krater des nächtlichen Manhattan gehörten zu seiner Textur, die über das Vanitas- Motiv gelegt ist als erotische Maske. Nicht umsonst nannte er seinen ersten Bildband „Portraits in Life and Death“; als er dabei war, von Aids dahingerafft zu werden, trieb er seine Freunde zur Verzweiflung mit seiner Weigerung, dies anzuerkennen.

Der Tod ist gar nicht dort so intensiv, wo er ihn wirklich zeigt: anhand eines blutigen Stierkopfs, dessen Auge den Betrachter anschaut, oder in der theatralischen Inszenierung von Candy Darling „auf ihrem Todesbett“ (1974). Die Begrenztheit der Lebensspanne schaut vielmehr zurück aus den seltsam dumpfen Bildern von Tieren – Schafen, Kühen, Pferden, Gänsen – die durch den Bildband gestreut sind und mit dunklen Knopfaugen dem Fotografen zu verstehen geben, daß sie seine Frage wenn schon nicht beantworten werden, so doch mit Sicherheit verstanden haben.

Hujar ist ein Meister im Formalen, der sich jedoch gegen die Suggestion entschieden hat. Max Kozloff bemerkt in seinem Begleittext zu Recht, daß Mapplethorpe und Hujar von Irving Penns Fotografie beeinflußt waren, dessen Stil „vor allem wegen seiner Betonung des Grafischen und weniger wegen seines Feelings für Leute geschätzt wurde“. Daß „Mapplethorpe ihn übertrieb und Hujar ihn abschwächte“ offenbare „das wirklich Abweichende ihrer Ansichten“. Hujar hatte, erinnerte sich sein Freund Vince Aletti in seinem Nachruf in der Village Voice, „am Ende Kreuze und Kristalle, Bilder indischer Mystiker, einen buddhistischen Schutzzauber und einen Rosenkranz neben seinem Bett liegen“ – er habe verzweifelt versucht, an irgend etwas zu glauben. Diese unbeantwortete Spiritualität hat von Hujars Bildern Besitz ergriffen; er hat dem Eleganten und Glitzernden zutiefst mißtraut, vielleicht, weil er es liebte. Ulf Erdmann Ziegler

„Peter Hujar. Eine Retrospektive“. Hrsg. von Urs Stahel und Hripsimé Visser. Scalo Verlag, Zürich und Berlin, 207 Seiten, 128 Abbildungen, gebunden, 98 Mark.

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