piwik no script img

Soccer-Politik Von Mathias Bröckers

Wenn ich mit Doc Sens, dem geschätzten Kollegen und Kumpel, die Lage der Nation diskutiere, geht es schon längst nicht mehr um Figuren wie Kohl und Scharping oder den Ausgang irgendwelcher Wahlen. Spätestens der Ausgang der Bundestagswahl zeigte uns, daß die entscheidenden politischen Schlachten nicht in Bonn geschlagen werden, sondern im Westfalenstadion. Wie der Fußball als Seismograph des Politischen fungiert, wird deutlich, wenn wir uns die Lage der Liga vor einem Jahr vergegenwärtigen: die Frankfurter Eintracht führte das Feld mit riesigem Vorsprung an – und am Ende machten die Bayern doch noch das Rennen. Ganz ähnlich sah es zu dieser Zeit für die SPD aus: Scharping lag bei der „Sonntagsfrage“ so weit vorn, daß auf Kohl und die Koalition kaum noch jemand einen Pfifferling wettete. Und doch stand sein Sieg in dem Moment fest, als Bayern Müchen am letzten Spieltag die Meisterschale ergatterte. Das alte konservative Element, der katholische Süden, hatte sich wider Erwarten noch einmal durchgesetzt. Gegen die Frankfurter Schule, die Multi- Kultur der „Zeugen Yeboahs“ sowie gegen Rehagels protestantische Nordlichter und den gefährlich erstarkten (MSV Duisburg Platz 1!) gewerkschaftlichen Ruhrpott-Block. Die Wende, das Ende der Ära Bayern, konnte mit einem Feuerwehreinsatz des alten Monarchen (Kaiser Franz) gerade noch einmal abgewendet werden. Prompt begann der Stern der SPD zu sinken. Dem Westerwälder Parteichef Scharping blieb nichts anderes als das, was der Westerwälder Eintracht-Chef Hölzenbein vorexerziert hatte – jede Chance haben und doch alles versieben. Mit Ach und Krach erreichten die Frankfurter einen Uefa-Cup-Platz, die SPD konnte am Ende ein paar müde Prozentchen zulegen.

In dieser Saison freilich scheint die längst überfällige Wende, das Ende der 80er Kohl- und Bayern- Jahre, endlich stattzufinden. Die Dortmunder Borussen führen die Liga nicht nur souverän an, sie sind auch entschlossen, an der Spitze zu bleiben. Eine andere Borussia, die aus Mönchengladbach, hat sich zudem auf leisen Sohlen auf den zweiten Tabellenplatz geschlichen. Nach nahezu fünfzehn Jahren im grauen Mittelfeld sind die Gladbacher – Synonym für die „demokratische“ Öffnung des Fußballs in der Brandt-Ära – plötzlich wieder vorne mit dabei. Wenn das keine eindeutigen Zeichen sind. Kleine, vergleichsweise „arme“ Vereine, wie Dortmund, Gladbach oder Freiburg, kaufen der Bonzen- und Monetenmacht des FC Bayern den Schneid ab. Statt von einer millionenschweren Reservebank werden sie von einem neuen spirit getragen – auf den Rängen und auf dem Rasen. Die Frage, wie lange die Bonner Koalition hält, wird am Ende dieser Saison entschieden sein: wird Dortmund Meister, gibt's für Kohl und Co. kein Halten mehr. Sollte Bayern es aber erneut schaffen, kann sich die SPD auf längere Oppositions-Zeiten einrichten. Warum hat Scharping noch immer keine Dauerkarte fürs Westfalenstadion? Wieso wurde Joschka Fischer noch nie am Bökelberg gesehen? Sie haben mal wieder nix kapiert. Wie kann man nur mit Schäuble um lächerliche Klingel-Pöstchen im Bundestag dealen, wo doch weit wichtigere Präsidentenämter zur Disposition stehen: Antje Vollmer statt Möllemann zu Schalke 04!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen