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„...die letzten Deppen in der Stadt“

■ Interview: Kultursenatorin Trüpel über die Abhängigkeit der Kultur vom Wirtschaftsressort

Mit den Namen schöner Kulturereignisse schmückt sich immer häufiger das Wirtschaftsressort. Die Kulturbehörde hingegen, die chronisch verarmte, scheint im gleichen Maße immer weniger aus eigener Kraft zu bewerkstelligen. Im Gespräch erklärte Kultursenatorin Helga Trüpel (Grüne), was ihrer Ansicht nach die Abhängigkeit der Kultur vom Wirtschaftsgeld für die Kulturpolitik bedeutet.

taz: Was hat eigentlich die Kultur davon, wenn mehr Bremer Hotelbetten belegt sind? Man bekommt derzeit ja den Eindruck, über Kultur werde in der Öffentlichkeit nur noch anhand von Verkaufs- und Besucherzahlen diskutiert.

Helga Trüpel: Also, diese Wahrnehmung teile ich erstmal schon gar nicht, daß nur noch der sekundäre Nutzen von Kultur diskutiert wird. Das finde ich zu einseitig wahrgenommen.

In der aktuellen Debatte über die Zukunft des „Kunstforums“ in der Langenstraße wird aber nur mit Wirtschaftsdaten argumentiert.

Ich behaupte auch nicht, daß sowas keine Rolle spielt. Natürlich: Jede Realisierung von Politik hat hinterher etwas mit der Frage der Umsetzbarkeit und auch der Finanzierung zu tun. Nun zur Frage der Qualität...

...wo wird die denn diskutiert?

Hier! Das Konzept für das „Kunstforum“ von Barbara Claassen-Schmal ist im Dezember '93 durch die Kulturdeputation gegangen. Und zwar mit der Auflage: mach' mal, wir gucken dann '94/'95 und bewerten, ob uns das inhaltlich überzeugt hat; ob es qualitativ auf einem hochstehenden Niveau ist; wie es sich in die bestehende Museumslandschaft einfügt. Die Vorgabe war ja: keine Doppelung der bestehenden Ausstellungsangebote. Jedes Institut hat seine ganz spezifische Aufgabe; und die Langenstraße hat sich einen Schwerpunkt rausgesucht, der sonst so nicht in der Stadt vertreten ist.

Wie läßt sich der beschreiben?

Zeitgenössische, moderne Kunst; Fotografie; Neue Medien. Und, da kommen wir zur derzeitigen Hopper-Ausstellung, publikumswirksame Ausstellungen zur Sommerzeit, um den guten Standort in der Innenstadt zu nutzen und für Bremen Werbung zu machen mit einer qualitativ hochstehenden Ausstellung. Hopper hat jetzt 11.000 Besucher gehabt.

Und die Kritiken waren auch gar nicht schlecht. So daß man sagen könnte, das Engagement hat sich doch gelohnt. Aber jetzt sind wir doch an einem Punkt, wo das ganze Konzept allein deswegen auf der Kippe steht, weil das Wirtschaftsressort die nächste Ausstellung nicht mehr, wie bisher, groß mitbezahlen will; jetzt hängt es wieder alleine an den Zahlen.

Das Problem ist nicht das Wirtschaftsressort, sondern die mangelnden Finanzen überhaupt. Von unserer Forderung, den Kulturhaushalt auf 3 Prozent vom Gesamtetat zu erhöhen, also eine Verdoppelung auf fast 200 Millionen Mark – davon sind wir angesichts der Haushaltskrise weit entfernt, so populär und so richtig diese Forderung immer noch ist. Das Kulturressort alleine hat einfach nicht die finanziellen Mittel, die es haben müßte. Das will ich auch gar nicht schönreden. Wir müssen zur Zeit innerhalb dieser engen Grenzen Politik machen. Der Vorwurf an mich als grüne Kultursenatorin ist ja immer: Mensch, die hat doch eigentlich gar nichts mehr zu sagen; die im Kulturressort sind die letzten Deppen in der Stadt und müssen auf jedes Angebot eingehen – wie beim Beispiel Cinemaxx – und sind vollkommen abhängig vom FDP-Wirtschaftssenator. Es stimmt, daß das Geld aus dem WAP (Wirtschaftspolitisches Aktionsprogramm des Senats; Anm.d.Red.) tatsächlich nur nach wirtschaftlichen Kriterien vergeben wird: Wieviel Leute kommen; was hat das für Sekundärwirkungen in der Hotelerie, in der Gastronomie; wird Bremen überregional bekannt. Das sind für das Wirtschaftsressort die einzigen Leitlinien...

...was man denen nicht zum Vorwurf machen kann...

...nein, das ist ihr Job. So wie es unser Job ist, auf die anderen Kriterien zu achten: Was löst es an kulturpolitischen Debatten aus? Wo ist die betreffende Position kunstimmanent zu verankern? Was trägt sie zur Auseinandersetzung mit Kunst in der Stadt bei? Aber an das wirkliche Problem kommt man nur ran, wenn man sich das Problem mit dem „Kunstforum“ mal genauer ansieht. Das Konzept war der Kulturdeputation immer klar gewesen: Es geht überhaupt nur mit Drittmitteln; wir bezahlen die Miete und die Nebenkosten; alles andere muß eingeworben werden.

Vom Wirtschaftsressort wiederum.

Und von Sponsoren. Aber natürlich auch vom Wirtschaftsressort. All die großen Ausstellungen wie Sol LeWitt, Gerz, Opalka – das ist immer als Mischfinanzierung zwischen Kultur und Wirtschaft gelaufen. Aber das läuft dann so, daß nicht die Wirtschaft Kulturpolitik macht, sondern daß wir die Vorschläge an das Wirtschaftsressort machen. Wobei wir natürlich leider auf deren Finanzbeiträge angewiesen sind. Es gibt natürlich auch Projekte, bei denen sie uns nicht gefragt haben. Das Hauff-Theaterstück im Rathaus zu Beispiel – da fand ich bedauerlich, daß sie es so ohne fachliche Beratung gemacht haben. Das hat 144.000 Mark gekostet – mehr, als wir für alle freien Theatergruppen in Bremen pro Jahr zur Verfügung haben. Ein Mißverhältnis, das auch für viel Ärger in der Szene gesorgt hat. Aber uns als Fachressort hat man nicht gefragt. An dieses Problem einer besseren Abstimmung zwischen Kultur und Wirtschaft muß man strukturell rangehen. Aber das kann man erst wieder bei den nächsten Koalitionsverandlungen.

Wird in Ihrem Ressort inzwischen allgemein bedauert, daß sich die derzeitige Koalition auf diese WAP-Konstruktion eingelassen hat, und damit die Kulturbehörde so stark abhängig ist vom Wirtschaftsressort? Hat man da nicht ein großes Stück Verantwortung abgegeben?

Aus fachpolitischer Sicht wäre es natürlich mehr als wünschenswert, wenn wir auch die großen Investitionsmittel aus dem WAP – für das Überseemuseum, Fockemuseum, die Kunsthalle – in unserem eigenen Haushalt zur Verfügung hätten. Zwar nicht zu 100 Prozent – ich finde das Modell der Mischfinanzierung richtig. Das Wirtschaftsressort soll ruhig mitentscheiden können, was es an Kulturvorhaben unterstützen möchte – aber nicht in dem derzeitigen Ausmaß, das halte ich für verkehrt. Da müßte man die WAP-Mittel zu einem größeren Prozentsatz ins Kulturressort verlagern.

Das ist natürlich Wunschdenken.

Das ist eine politische Forderung der Grünen, mit der wir in den Wahlkampf gehen werden.

Der Wirtschaftssenator Jäger hat in einem Interview vor einem Jahr scherzhaft bemerkt, man könne ja auch gleich ein Ressort für „Wirtschaft und Kultur“ aufmachen. Einem solchen Zustand steuern wir anscheinend wirklich entgegen. Wo kann denn das Kulturressort bei diesem ungleichen Kräfteverhältnis noch eigene Schwerpunkte deutlich machen?

Nein, diese Sichtweise teile icht nicht. Das Geld kommt zwar aus dem Wirtschaftstopf, aber das politische Vorantreiben der Kulturprojekte, das machen ja wir, ob das die Sanierung des Fockemuseums, das neue Magazin des Überseemuseums oder das Kunstforum ist. Die Planungen laufen bei uns. Das ist doch nicht der Ausverkauf ans Wirtschaftsressort. Jetzt kann ich natürlich wie Herr Jäger mit dem gleichen Lachen sagen: Ja, klar können wir ein Ressort „Wirtschaft und Kultur“ bilden – aber es muß ja nicht ein FDP-Ressort sein.

Großprojekte wie das Musical werden dennoch nur mit dem Wirtschaftsressort in Verbindung gebracht. Warum hält sich die Kultur da so aus der Diskussion heraus? Da wäre doch auch mal die Qualitätsfrage zu stellen.

So weit sind wir ja noch garnicht. Und erstmal ist Musical viel mehr Kommerz als das Bremer Theater. Die deutschen Musicals, in Bochum, Stuttgart, Hamburg, sind in ester Linie Wirtschaftsunternehmen. Und das sind in erster Linie auch die Kriterien. Da spielen Marktprinzipien eine größere Rolle als wenn es um Jenufa, Jelena oder Dario Fo geht. Das Bremer Theater bekommt, wie es Pierwoß sagt, eine Risikoprämie; aber am Musical hängt nicht unser Herzblut. Daher ist es auch in Ordnung, wenn das in erster Linie als Wirtschaftsprojekt läuft. Ich habe allerdings in internen Gesprächen sehr frühzeitig schon die Frage gestellt, ob wir in Bremen mit einem neuen Musical nicht zehn Jahre zu spät kommen – nach dem Motto: Bremen fängt dann damit an, wenn es überall schon abgenudelt ist. Aber wenn es wirklich ein tolles Stück ist, bin ich dafür, daß es eruiert wird. Meine Position ist nicht die von Pierwoß oder Kentrup, die sagen: Ein Musical kommt uns nicht in die Stadt.

Nochmal zurück in die Langenstraße. Das „Kunstforum“ ist doch nun eindeutig Sache der Kulturbehörde. Da haben Sie doch versucht, den Betrieb auf die Beine zu kriegen; in dem Moment aber, wo das Wirtschaftsressort nicht mehr mit will, steht gleich das ganze Haus zur Disposition.

Natürlich diskutieren wir das auch nach Qualitätsfragen. Aber weil wir gleichzeitig das Geld nicht haben, sind wir einfach nicht zu einer solchen Politikgestaltung fähig, um die nächste Ausstellung aus der eigenen Schatulle zu zahlen. Es war erstmal nur eine finanzielle Entscheidung, die nächsten Ausstellungen abzusagen. Jetzt geht es noch einmal um eine Genraldebatte in der Deputation. Da müssen wir jetzt klären, welche Möglichkeiten es für die Langenstraße noch gibt, wenn sich abzeichnet, wie knapp das Geld in der Stadt wirklich ist.

Fragen: Thomas Wolff

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