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Baustoffe, Schrott und Kohlen

Der Westhafen fristet seit dem Krieg ein kümmerliches Dasein, und seine Zukunft ist ungewiß / Bundesregierung plant teuren Ausbau der Wasserstraßen  ■ Von Peter Lerch

Im trüben Wasser, dessen Altölgeruch dem Rhein bei Mainz gleicht, dümpeln ein paar Schlepper in alphabetischer Reihenfolge: „Christa-Ursula“, „Edith“, „Hildegard“ und „Wolfgang“. Hier, in der Miniaturausgabe eines Hochseehafens, reihen sich Schrottberge, Kohlehaufen und Tankanlagen aneinander. Dazwischen immer wieder Kräne, um die Fracht von den Schleppern auf Waggons oder die Freilagerflächen zu laden.

Auf einer Laderampe sitzt Paul. Der 50jährige Fernfahrer im Blaumann macht ein langes Gesicht, weil er hier Ware laden soll, die aber noch nicht eingetroffen ist. Nun wartet er und ist stinksauer, weil schon jetzt sein ganzer Zeitplan durcheinendergeraten ist. „Da kann man halt nix machen“, sagt er und zieht ein reichlich zähes Produkt aus den Abgründen seiner Fernfahrerlunge, um es zielsicher ins Hafenbecken zu pusten.

Am Getreidespeicher, einem Klinkersteingebäude mit rustikaler Inschrift, endet das 440.000 Quadratmeter große Hafenareal. Ein paar Kräne kreischen ungeölt, und ein Ausflugsschiff zuckelt unter der Seestraßenbrücke durch, die das Hafengelände im Osten begrenzt. Schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden in Berlin neue Wasserstraßen und Häfen. Berlin war vor dem Ersten Weltkrieg nach Duisburg der zweitgrößte deutsche Binnenhafen. Weil es aber an Lagerkapazitäten und Umschlagplätzen mangelte, begann man 1914 mit dem Bau des Westhafens, dessen Fertigstellung sich bis 1923 verzögerte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die öffentlichen Hafenanlagen zu 60 Prozent zerstört, die Wasserstraßen wegen Brückenteilen und Gebäudetrümmern nicht mehr passierbar. Mit der Spaltung der Stadt war auch der Status Berlins als einer der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte Mitteleuropas endgültig Geschichte. Berlin-West und Berlin-Ost waren für den Handel für Jahrzehnte nur noch Endstationen. Doch auch nach der Wiedervereinigung änderte sich daran wenig. Hatte zunächst die Teilung zu einem Rückgang des Binnenverkehrs geführt, sorgt jetzt die veränderte Struktur der Industrie dafür, daß Massengüter kaum noch mit dem Flußschlepper über die Kanäle verfrachtet werden.

Das beklagt auch Herbert Kreis, Vorstandsmitglied der Behala AG (Berliner Hafen und Lagerhaus Aktiengesellschaft): „Derzeit werden fast ausschließlich Baustoffe, Schrott und Kohlen übers Wasser transportiert. Die auf dem Hafengelände liegenden Gebäude sind nicht mehr zeitgemäß und als Lagerhallen völlig überholt.“ Und das so gründlich, daß sie der Landesdenkmalschützer als Antiquitäten ausgemacht und die alten Klinkersteinhallen – zunächst unter Vorbehalt – unter Denkmalschutz gestellt hat. Nach Plänen der Bundesregierung sollen jedoch in den nächsten Jahren die Berliner Wasserwege ausgebaut werden, weil man davon ausgeht, daß die Binnenschiffahrt boomen wird.

Spätestens dann muß auch über die Bedeutung der Westhafen-Anlage neu nachgedacht werden. Zuvor bedarf es aber noch einiger Investitionen, um Berlin ins europäische Verkehrsnetz zu integrieren. Alleine in Berlin müssen 45 Brücken um- oder neugebaut werden, damit die derzeit nur einfach beladbaren Binnenschiffe auch zwei oder drei Lagen Container transportieren können. Erst dann, so Behala-Vorstandsmitglied Gert Rose, sei der Stückguttransport wieder lukrativ.

Darüber hinaus müßten fast sämtliche Wasserwege verbreitert und vor allem vertieft werden. Denn nach Berlin können nach wie vor nur Schiffe mit einer Gesamtlänge von 82 Metern fahren, die maximal zwei Meter tief eintauchen. Deshalb plant der Bund, bis zum Jahr 2012 dreißig Milliarden Mark speziell in die östlichen Wasserstraßen zu investieren. Alleine das im Einigungsvertrag festgelegte Projekt Nummer 17, das den Ausbau der 280 Kilometer langen Wasserstraße von Hannover nach Berlin festlegt, ist mit Kosten von vier Milliarden Mark veranschlagt.

Die Befürworter des von Ex- Verkehrsminister Günther Krause (CDU) seinerzeit mit Dringlichkeit auf den Weg gebrachten Mammutprojekts versprechen sich vom Ausbau der Wasserstraßen ein zukunftsträchtiges Geschäft: Wirtschaftsinstitute rechnen in den nächsten zwanzig Jahren mit einem 85prozentigen Anstieg der Transportmengen.

Doch das Projekt ist umstritten. Ausbaugegner befürchten schwerwiegende Eingriffe in ökologisch sensiblen Gebieten, wie den unteren Havelabschnitt, in dem es allein neun Natur- und Landschaftsschutzgebiete gibt. Außerdem sei es wirtschaftlich sinnvoller, Schiffe an die Bedingungen deutscher Flüsse und Kanäle anzupassen. Darüber hinaus kam ein von Ausbaugegnern in Auftrag gegebenes Gutachten des Berliner Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung zu dem Schluß, daß sich der Ausbau kaum rechne. Statt der von Bonn errechneten 6,60 Mark Gewinn pro eine Mark Investition kam das Institut nur auf 2,20 Mark. Und dabei seien die ökologischen Folgekosten noch nicht berücksichtigt.

Noch werden die Lager der Hafenanlage vorwiegend von den sechs Speditionen genutzt, die auf dem Westhafengelände firmieren und die durchweg nichts mit der angeblich für Handel und Fernverkehr so güstigen Anbindung an den Binnenhafen zu tun haben. „Wir sind dabei, unsere Kunden von den Vorteilen der verschiedenen Transportmöglichkeiten auf einem Gelände zu überzeugen“, sagt Gert Rose und weist auf die Vorzüge hin, die eine Kombination von Bahn, Schiff und LKW- Transport habe.

Im ehemaligen Getreidespeicher, dem eindrucksvollsten Gebäude des Hafens, hat neben einer Wurstwaren-Spedition die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ihre Räume. In den kleineren, rund ums Hafenbecken gelegenen Lagerhallen sind Fuhrunternehmen untergebracht, die von Klodeckeln bis zu Bierkästen so ziemlich alles verfrachten. „Für die meisten Leute, die hier arbeiten, ist es immer der gleiche Trott“, erzählt eine Speditionsangestellte. „Der Tag fängt damit an, daß die Fernfahrer früh in die Spedition kommen, ihre Waren abladen.“ Dann müssen die Waren kommissioniert, manchmal auch etikettiert werden. Danach müssen Frachtpapiere ausgefüllt werden. Später kommen die für den Nahverkehr zuständigen Fahrer, laden das Zeug wieder auf und liefern es in Berlin und dem Umland aus. „Es ist alles stinklangweilig!“

Im Verwaltungsgebäude des Hafens, dort wo Hafenmeisterei und Bank untergebracht sind, weist ein angeklebter Zettel darauf hin, daß im Anschluß an den wöchentlichen Binnenschiffergottesdienst mit Schifferpastor Schoch ein zünftiger Frühschoppen veranstaltet wird. Im gleichen Gebäude liegt auch das kulturelle Zentrum der Binnenschiffer und Spediteure. Ein bißchen hochtrabend wirkt die Generalkarte des Nordpazifischen Raumes, die in der einzigen Gaststätte des Hafens, dem Hafencasino hinter der Kühlvitrine mit welken Mett-Schrippen, hervorlugt. Modelle von Rettungsbooten der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft, ein antikes Fischernetz und ein paar Rettungsringe aus den ruhmreichen Anfangszeiten der christlich-abendländischen Seefahrt sollen den Besucher vergessen machen, daß er sich in einer Binnenschifferspelunke aufhält. Die Kneipe ist so alt wie der Hafen selbst. Und weil sie so alt ist, hat sie in Gestalt einer Pommesbude Konkurrenz bekommen: „Juttas Spezialitätenshop“, wie der Imbißwagen ein paar Schritte vom U-Bahn-Eingang entfernt von Speditionsangestellten liebevoll genannt wird.

Doch das ist kein Platz für die alten Binnenschiffer, die das Traditionelle bevorzugen. Wenn der Tag zu Ende geht, krönen diese, wie schon vor hundert Jahren, ihr Tagwerk mit dem Dämmerschoppen im Hafencasino. Und der zufällige Besucher fühlt sich in ein anderes Jahrhundert zurückversetzt, wenn er zusieht, wie sich die letzten Exemplare des einst so angesehenen Berufsstandes den Bierschaum vom Mund wischen.

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