Durchs Dröhnland
: Uneinlösbarer Ewigkeitsanspruch

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

In der Electro-Szene gibt es eine obskure Leidenschaft für Lack und Leder und die (meist intellektuelle) Beschäftigung mit dem dazugehörigen Sex. Die Form führten auf der Bühne früher reichlich lächerliche Turnübungen auf, aber die aktuelle Generation beläßt es meist am Ausstellen des Handwerkszeug. So auch Sabotage Qu'est-ce-que c'est? aus dem Hessischen. Zwei gesetzte Herren produzieren ein lustig fiepsendes Synthiegeräusch nach dem anderen, und eine Sängerin kultiviert ihre Stimmbänder zwischen piepsigem Kindersex und rauchiger Laszivität. Der gute Stephan Grotesk dagegen bevorzugt als Apoptygma Berzerk eher das weitschweifige Arrangement und/oder kalte Dance-Beats. Wenn der Norweger singt, könnte man auch Heaven 17 denken, während Sabotage an Yazoo gemahnen. Beide Projekte plündern aber prinzipiell völlig unverschämt die gloriosen Tage des Synthie-Pops – ob Human League oder DAF – und modernisieren sie leidlich. Am unpassendsten noch die glücklicherweise seltenen EBM-Versuche.

Am 25.11. um 22 Uhr im Knaack, Greifswalder Straße 224

Larry Barrett ist einer jener Singer/Songwriter, die Glitterhouse neuerdings in rauhen Mengen ausgräbt. Barrett hat sich ein paar Meriten verdient, weil er als Dauergastmusikant für die Walkabouts Mandoline und Steelguitar spielte. Solo baut der Mann aus Idaho das Country-Element weiter aus, läßt die Steelguitar jammern und schubst einen viel zu zappeligen JJ Cale aus der Hollywood-Schaukel. Der Abend für Liebhaber von glitzernden Sporen. Und für Freunde von Querverbindungen: Sein Bassist war mal Thin White Rope.

Am 25.11. um 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow

Neben Aushängeschildern des Bluesrock in der DDR wie Engerling gab es auch jede Menge Fußvolk, das unter den speziellen Bedingungen allzu leicht Kultstatus erreichte. Und so wie Silly oder die Puhdys spült's diese auf der Ost-Nostalgiewelle auch wieder nach oben. Wie ein musikalischer „Park-Markt“ kommt das „2. East Blues Festival“ daher: mit Monokel, East Blues Experience, Jonathan Blues Band, Prinz of the Harp, Pass over the Blues und den West-Ausreißern Pee Wee Bluesgang aus Iserlohn.

Am 26.11. um 20 Uhr im Lindenpark, Stahnsdorfer Straße 76–78, Potsdam

Heutzutage fast schon hochsympathisch ist es, wenn sich eine Band zum dauerverpönten Adult Oriented Rock bekennt, anstatt mit modischeren Labels hausieren zu gehen. Big Head Todd & the Monsters sind so ein Fall. Das Trio aus Colorado spielt völlig unspektakuläre Songs mit den üblichen selbstreflektiven Texten über solidem Handwerk. Für die einen ist das gähnlangweilig, für andere der richtige Ohrensesselstoff. Aber vor allem zeigen Big Head Todd, daß es auch keine so dolle Leistung ist, die Verstärkerknöpfe bis zum Anschlag zu drehen und die Sache Grunge zu nennen.

Am 28.11. um 21 Uhr im Huxley's Junior, Hasenheide 108–114, Neukölln

Helga Pictures kamen zwar aus Stuttgart, aber produzierten eine überraschend frische Kopie des Living Colourschen Funkrock. Frontmann Zam Helga, der schon als Zwölfjähriger in Punkbands trommelte, anschließend zum Folkbarden mutierte und seine Helga-Mitstreiter angeblich im Kloster kennenlernte, war's irgendwann leid, immer nur in der zweiten Liga des internationalen Rock zu spielen. Lieber ließ er den attraktiven Industrievertrag sausen und zog sich in seinen persönlichen Elfenbeinturm zurück, wo kistenweise Fummel zum Verkleiden rumliegen, die ihn bei Konzerten zum Kleiderständer machen, dessen Umzugfrequenz selbst Prince erschaudern läßt. Musikalisch verhält es sich ähnlich, da wechseln schillernd klare Powerpop-Riffs mit versponnener Psychedelik, legt sich Zam Helga eine überholte Wave-Band zu oder jammt mit dem klassischen Gitarristen, Symphoniker und Filmkomponisten Marc Hirte. Der Mann weiß nicht, was er will, aber das gut.

Am 29.11. um 21 Uhr im Knaack

Schaffen sie es doch noch? Die Clubs werden auf jeden Fall größer für D-Base 5, die amerikanisch-berlinerische Funkrock- Antwort auf die Peppers oder Mordred oder Rage against the Machine. Mal sehen, ob wenigstens die das Provinz-Stigma doch noch ablegen können. Das Potential hätten sie.

Am 29.11. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg

In geradezu genialer Übereinstimmung kultivieren ZZ Top seit nunmehr fast einem Vierteljahrhundert parallel ihre langen Bärte und den Boogie (Obacht: Kalauer!). Finanziell funktioniert das in diesen retrospektiven Zeiten natürlich besser mit dem Boogie und nicht mit ihrem pseudomodernen Album „Recycler“ von vor vier Jahren. Immer noch dieselben Sexisten, bescheuerten Autonarren und dumpfen Provinzdeppen, haben sie es zu mehrfachen Millionären und erst gerade mit „Breakaway“ ihren allergrößten Hit zustande gebracht. Es gilt hat doch immer noch der Satz von Bassist Dusty Hill: „Im Grunde interessiert sich doch jeder für Nutten, Bier und schnelle Autos.“

Am 29.11. um 30.11. um 20 Uhr in der Deutschlandhalle, Messedamm, Charlottenburg

Mein CD-Player wußte, was gespielt wird. Er wollte die neue von den New Bomb Turks nicht schlucken. Er hat sich breitschlagen lassen, jetzt steht er kurz vorm Herzinfarkt, weil die vier aus Columbus, Ohio, das Tempo noch einmal angezogen haben. Immer noch altmodisch und schnell, so wie die fünfziger Jahre auf billigen Compact-Anlagen durchgehört und ein entsprechend schiefes Bild bekommen, und den Punkrock nur mit Mühe und Leberschaden überlebt. Das Ergebnis sind schlecht produzierte Misthaufen mit uneinlösbarem Ewigkeitsanspruch. Und an sich freundliche Menschen, die auf der Bühne zum Tier werden und hin und wieder sogar ihren Hintern belüften. Dann gab ich meinem CD-Player den Rest. Teengenerate saugte er widerspruchslos ein, die kannte er noch nicht. Und was sollte aus Japan denn schon Gefährliches kommen? So kann man sich täuschen, jetzt japst er nur noch. Man kippe zwei Pfund Reißzwecken und ein wenig Zement über eine Ramones-Platte und spiele sie mit einer Stricknadel ab. Das dürfte sich dann annähernd so gemein anhören wie unsere vier japanischen Freunde. Fies und dreckig und gemein, schnell sowieso, sind sie mindestens so aufregend, wie den Kopf in die Mülltonne zu stecken – und nur unwesentlich gesünder.

Am 1.12. um 21 Uhr im Huxley's Junior Thomas Winkler