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Die Geschichte fängt neu an

Gute Gründe scheinen dafür zu sprechen, daß das Comeback des traditionsbeladenen Bundesligisten Borussia Mönchengladbach nicht überraschend kommt, sondern langfristiger Natur sein könnte  ■ Von Holger Jenrich

Mönchengladbach (taz) – Mit diesem 7:1-Gewirbel über den VfL Bochum fing sie Ende September an: die Wiederauferstehung eines längst beerdigt geglaubten Kultes. Ein solcher nämlich war die Borussia aus Mönchengladbach beinahe 20 Jahre lang – bis aus ihr ein Witz zu werden drohte: von Abstiegsängsten gepeinigt, bösen Pokalpleiten gebeutelt, talentlosen Trainern zermürbt. Heute – 15 Jahre nach dem letzten Titel, dem UEFA-Pokal – darf nun wieder beglückwünscht werden: Trotz 1:2-Niederlage jüngst in Frankfurt gehen die Borussen als Tabellendritte ins heutige Heimspiel gegen Spitzenreiter Borussia Dortmund. Und sind auf dem besten Wege, wieder wer zu werden im deutschen Kickgewerbe. Aus guten Gründen übrigens.

Borussia ist eingespielt

Gladbacher waren immer treue Seelen: Vogts kickte 14, Kleff 13, Wimmer zwölf, Bruns und Criens je elf Jahre für Borussia. Auch im aktuellen Kader gibt's zahlreiche „Lebenslängliche“: Uwe Kamps und Christian Hochstätter sind seit 1982 in Mönchengladbach. Jörg Neun schlägt seit sieben Jahren linke Flanken vors gegnerische Gehäuse. Reservist Eichin bekommt im nächsten Jahr eine Verdienstmarke für zehnjährige Vereinstreue. Und Kapitän Klinkert, Wynhoff, Max, Kastenmaier, Salou oder Schneider sind seit vier bzw. fünf Jahren mit von der Partie.

Borussia kauft gut ein

In den trüben Achtzigern konnte man sein Erspartes drauf verwetten: Borussias Neueinkäufe floppten garantiert. Eric Willaarts war Stolper- statt Schützenkönig, Günter Thiele Unglücksrabe statt Ungeheuer, Eric Thorstvedt Fliegenfänger statt Klassekeeper – die Liste ließe sich verlängern. Seit Rolf Rüssmann die Geschäfte managt, ist – von der Ausnahme Mölby einmal abgesehen – das Transfer- Glück zurückgekehrt. Er hat Spieler geholt, die anderswo verkannt, am Bökelberg zu Leistungsträgern wurden: Kastenmaier (München), Schneider (Nürnberg), Fach (Uerdingen), Herrlich (Leverkusen). Er hat mit Dahlin einen Stürmer verpflichtet, der zu Europas Top- Angreifern zählt. Und mit Patrik Andersson einen Abwehrspieler, der zu den drei besten Defensivlern der Bundesliga gehört.

Borussia hat Effenberg

Trotz Spritztouren und Stinkefinger: Stefan Effenberg ist einsame Klasse. Eine bisweilen sensationelle Mischung aus Netzerscher Genialität, Schusterscher Lässigkeit und Matthäusscher Dynamik. Ein Mann, der ein Spiel durch seine Pässe, seine Ideen und sein Mundwerk ganz allein entscheiden kann. Der schnoddrige Blondschopf ist Herz und Hirn, Motor, Autoritätsfigur, Leitwolf. Einen wie ihn hat Borussia Mönchengladbach 20 Jahre nicht mehr gehabt – selbst einstige Lichtgestalten wie Uwe Rahn und Hans-Günter Bruns in seinen blondesten Tagen verblassen gegen Effe-Superstar.

Borussia verkauft nicht

Jahrelang war's dasselbe Dilemma: Wollte man am Bökelberg finanziell gesund dastehen, mußte man die Könner verscherbeln. In den 60ern und 70ern zog es Heynckes, Rupp, Laumen, Dietrich, Köppel, Le Fevre, Netzer, Bonhof, Simonsen, Jensen, Stielike zu Besserbezahlenden. In den 80ern gingen Del Haye, Matthäus, Mill, Frontzeck, Hannes, Rahn, Borowka und Effenberg. Seit dessen Notverkauf an die Bayern aber hält man in Gladbach jedem Liebeswerben stand. Da könen Bayern (Hochstätter), Köln (Fach) oder Everton (Dahlin) noch so sehr buhlen und für Herrlich das Gebot von vier bis fünf Millionen Mark im Raum stehen: Verkauft wird nicht.

Borussia hat Reserve

Welch ein Unterschied. Im vergangenen Jahr mußten unerfahrene Youngster in die Bresche springen: talentierte Verbandsligakicker wie Hirsch, Beckers oder Bluhm. Diese Saison ist die Bank hervorragend besetzt: In den letzten Spielen saßen dort erfahrene Profis wie Fach, Schneider, Stadler, Salou, Hoersen, Eichin und Max.

Borussia hat Kette kapiert

Erst wollte jedes Team die Vierer- Abwehrkette zur Anwendung bringen – heute ist sie nur bei der Borussia zu sehen. Und zu bewundern. Denn sie funktioniert. Weil die Außen Kastenmaier und Neun sie nach anfänglichen Problemen kapiert haben. Weil Klinkert hintendrin eine Bank ist. Aber vor allem, weil Patrik Andersson das System dank seiner Erfahrungen aus Schwedens Nationalteam sicher beherrscht. Im vergangenen Jahr mit der klassischen Libero-Variante kassierte Mönchengladbach in 34 Spielen 59 Tore, heuer hat man in 14 Spielen gerade 16 Treffer hinnehmen müssen.

Borussia zeigt Geduld

„Den kann ich zu Hause nicht mehr bringen“, befürchtete Trainer Krauss üble Spießrutenläufe für Abwehrmann Stadler, nachdem der nach Eigentoren und Fouls die Borussia gegen seinen Ex-Club Kaiserslautern fast allein aus dem Pokalwettbewerb gekegelt hatte. Notgedrungen mußte Krauss aber nach Klinkerts Ausfall. Und? Die Geduld hat sich bezahlt gemacht: Der Lange ist mittlerweile ein akzeptabler Manndecker. Und nicht der einzige scheinbar „erledigte Fall“. Pflipsen stand zu Gelsdorfs Zeiten vor einem Verkauf in die zweite Liga. Wynhoff, einst Zappelphilipp, zeigt heute Torinstinkt. Neun, einst blutgrätschender Haudrauf, spielt abgeklärt und fair. Und Herrlich kickt und köpft sich im Gladbacher Leibchen in Nationalmannschaftsnähe.

Borussia hat Zukunft

Das jedenfalls läßt die durchgehend von Ex-Profis erledigte Nachwuchsarbeit vermuten. In der Nachwuchsrunde steht Gladbachs zweite Garnitur (Trainer: Georg Dreeßen) auf Rang 2. Die Verbandsliga Niederrhein führen Borussias Amateure (mit Gerd Zewe) souverän an. Die A-Jugend (Norbert Meier), mit Leuten aus dem internatsähnlichen „Fohlenstall“ besetzt, ist Spitzenreiter der Niederrhein-Liga. Auch B- und C-Jugend sind top.

Borussia hat Ruhe

Was war nicht alles vorhergesagt worden für diese Saison nach den Dahlin-Angeboten und der Effenberg-Verpflichtung: Chaos, Unordnung, Eifersüchteleien, nicht zuletzt ein für sicher gehaltener Trainerrausschmiß? Aber: In Gladbach ist augenscheinlich die Harmonie früherer Jahre eingekehrt. Selbst Dahlin ist glücklich, Fach erträgt brav sein Reservistendasein, Kamps zeigt Größe im Vergessen und gutklassige Torwartleistungen, und Präsident Drygalsky und Trainer Krauss sind wieder richtig lieb zueinander.

Borussia hat guten Trainer

Das Salzburger Wettbüro „Intertops“ hat falsch geraten: Bernd Krauss ist mitnichten der erste rausgeworfene Trainer der Saison. Sondern ein erfolgsverwöhnter Coach, der vor den anstehenden Vertragsverlängerungen nun sogar gelassen pokern kann. Nachdem die Gladbacher mit Werner, vom Bruch und Gelsdorf drei Trainer- Nieten in Folge gezogen hatten, haben sie nun einen Übungsleiter, der zwar über ebensowenig Charisma wie seine unscheinbaren Vorgänger verfügt, dafür aber über Weitsicht, Augenmaß, psychologisches Gespür, den richtigen Ton, klare Ziele und Konzepte.

Borussia ist professionell

Er wurde belächelt, als Fehlbesetzung apostrophiert und kurzzeitig sogar seines Postens enthoben. Und doch: Rolf Rüssmann war es, der die richtigen Spieler und Trainer geholt hat. Er hat das Image verbessert und die Werbung professionalisiert: Borussia verkaufte 1989 gerade 1.600, heuer aber 10.000 Dauerkarten. In dieser Saison kamen bisher durchschnittlich 29.600 (1989: 14.100) Zuschauer. Er hat die Kontakte zur Wirtschaft intensiviert: Im „Sponsorenpool“ haben sich potente Großunternehmen und mittelständische Regionalbetriebe zu einer finanzkräftigen „Mannschaft hinter der Mannschaft“ versammelt. Und er hat Marketingexperten um sich geschart: Mit Trikots, Bällen, Schals und einer gigantischen Merchandising-Palette setzt Borussia rund zehn Millionen Mark (1989: 1,5) um – nur Bayern München ist umtriebiger.

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