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Meistens hacken die Männer Holz

■ Der Literaturwissenschaftler und Dada-Experte Karl Riha über Erotik, Moral und Betriebsreglements bei den Dadaisten

taz: „Oh Maria, du bist gebenedeit unter den Weibern. Mir aber rinnt der geile Brand an den Beinen herunter.“ Das hat der Ur- Dada Hugo Ball gereimt. Wen wollte er damit ärgern?

Karl Riha: An sich war Hugo Ball, nicht zuletzt durch seine Frau Emmy Hennings, recht rasch auf katholischen Pfaden. Trotzdem kann ich mir vorstellen, daß dieses Gedicht mehr ein Kampf mit der eigenen Triebhaftigkeit ist als eine Provokation der Kirche.

Aber sonst findet man in der Dada-Literatur wenige erotische „Stellen“.

Man kann Dada nicht als homogenen Block nehmen. Dada in Zürich war anders als Dada in Berlin. Für die Berliner würde ich schon meinen, daß der Trieb ein Thema war. Raoul Hausmann hatte vor, einen Roman zu schreiben, in dem Liebe behandelt wird wie Holzhacken, eine etwas brutale Art, mit der Liebe umzugehen.

Aber gerade Hausmann war doch ein Verehrer der erotischen Literatur von Walt Whitman, und er selbst lebte in einer sehr dramatischen Dreierbeziehung mit seiner Frau und Hannah Höch.

Aber er war ein Mann – und meistens hacken die Männer Holz. Im übrigen war eine Dreierbeziehung damals, als die bürgerliche Ehe alles war, etwas sehr Provokatives. Er konnte sich es also leisten, in vielen anderen Bereichen zu provozieren.

Als Bürgerschrecks mußten die Dadaisten die Bürger doch bei ihrer Doppelmoral packen!

Genau diese Doppelmoral hat George Grosz in seinen satirischen Zeichnungen ja auch aufs Korn genommen. Er leuchtete die Figuren durch die Kleidung bis zur Nacktheit aus, und in den durchröntgten Hirnen sind ihre sexuellen Phantasien zu erkennen. Im übrigen ist es für die Dadaisten wichtig, hinter ihrem Werk die Biographie zu suchen. Man darf also, wenn man nach Liebe und ihren Liebesbeziehungen Ausschau hält, nicht immer nur das schlagkräftige Zitat suchen, sondern man muß auf ihre Lebensessenz schauen.

In welchen Dada-Beziehungen prägte das private Leben Dada?

Beispielsweise bei Hans Arp. Er und seine Frau Sophie hatten eine sehr kreative Beziehung, die auch das Künstlerische voll umfaßte. Es gibt sehr viele Widmungsgedichte an sie. Zum Beispiel: „Alle Blumen blühen für Dich, alle Herzen glühen für Dich. Ich spreche kleine alltägliche Sätze. Ich spreche wie die geringen Glocken, die sich immer wiederholen, Sophie ist ein Stern. Sophie ist eine Blume...“ Als sie starb, veränderte sich seine ganze lyrische Sprache, sein Dada.

Schön, aber ist das auch erotische Literatur?

Nun, Dada fand weitgehend außerhalb der Öffentlichkeit statt. Mit offener geiler Lyrik hat Dada deshalb nicht provoziert. Aber die „Anna Blume“ von Kurt Schwitters ist ein ausgeprochen offenes Liebesgedicht für eine imaginäre Geliebte. In dem Gedicht kommt viel zur Sprache, wenn man es nur lesen kann.

Wieso hielten sich die Dadaisten an die konventionelle Trennung von Privat und Öffentlich?

Die waren immer privat, eine Öffentlichkeit hatten sie doch gar nicht. Vor allem nicht in Zürich. Dort lebten sie in und für ihr Cabaret; das waren doch ganze arme Emigranten, geflüchtet vor dem großen Krieg. Wenn die aus dem Cabaret einen erotischen Schuppen gemacht hätten, wäre er doch gleich verboten worden. Richard Huelsenbeck ist in Zürich den Mädchen der Laban-Tanzgruppe heftig hinterhergelaufen. In seiner Autobiographie ist fast nur davon die Rede.

Zurück nach Berlin. Walter Mehring hat 1918 das „Betriebsreglement für Dadayama“ verkündet. Darin heißt es: „Sexuelle Handlungen finden allein statt in dem großen Glasbordell mit den Sexualschaukeln und Rängen der Voyeurs (Entwurf Bruno Taut) und im Tempel der Selbstbefriedigung.“ Ist das Ironie oder eine Männerphantasie?

Eine Ausnahme war dieses Manifest nicht. In einem der vielen Dada-Manifeste ist davon die Rede, nicht auf die jungfräuliche Geburt Marias zu schauen, sondern: „Schaut zu, wie es die Hunde auf der Straße machen.“ Das war, wo Religiöses gegen Sexuelles gestellt wird, was sehr Anstößiges.

Finden Sie das nicht sehr frauenfeindlich?

Nö, wieso? Wenn die Frau es akzeptieren kann, daß man den Hunden zuschauen soll? Da muß man sich doch nicht als Hündin fühlen. Interview: Anita Kugler

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