Sanssouci: Vorschlag
■ Tanztheater - Lächelnde Dämonen im Institut Unzeit
Bei der Entstehung des Bühnenbilds kann man zuschauen. Die halbjährlich im Institut Unzeit stattfindende Performance- Reihe „urbane körperRituale“ ist das Gegenteil von großstädtischer Anonymität. Die „klanginterpretin“ Susanne Kukies steht vor dem Beginn der Aufführung an der Kasse, und der Tänzer Lole Gessler wartet die ersten Gäste ab, bevor er mit den Vorbereitungen auf der Bühne beginnt. Sieben verschiedene Kleidungsstücke werden mit Bügeln versehen und in von der Decke herabhängenden Schlaufen befestigt, sieben Textplatten werden mit der Schrift nach unten auf dem Boden verteilt und acht Teeschalen gereinigt. Tee gekocht wird auch auf der Bühne, und das hat etwas so Anheimelndes, daß man meint, hier würde der gehetzte Großstadtmensch gleich die gesündesten Dinge zu essen und zu trinken bekommen. Und das stimmt dann auch fast: Sieben gefüllte Teeschalen bleiben auf der Bühne und werden vom Tänzer während der Performance sukzessive ausgetrunken, die achte Schale ist für einen Bedürftigen im Publikum.
Die Zahl Sieben hat hier allerdings nichts mit Kinderstreichen und auch nichts mit Schneewittchen und ihren Zwergen zu tun, sondern mit den Lottozahlen (sechs plus eine Zusatzzahl gleich SIEBEN!). Susanne Kukies und Lole Gessler haben für „das lächeln der dämonen“, den ersten Teil der „urbanen körperRituale“, den Zufall zum Prinzip ihrer Arbeit gemacht. 49 Minuten dauert die Performance, und in welcher Minute was geschieht, darüber haben mehrere Wochen lang die jeweiligen Ziehungen der Lottozahlen entschieden. Die erste Woche bestimmte die Momente, in denen die Kostüme gewechselt werden, die zweite den Einsatz eines bestimmten Geräusches, die dritte den Teegenuß und so weiter.
Aber Zufall hin und Lottozahlen her, das Erlebnis des Abends sind die Verwandlungen des Lole Gessler. Der bringt nicht nur seinen Körper in bizarre Formen, auf eindrücklichste Weise faucht, quietscht und trillert es aus ihm heraus. Das hört sich mehr als einmal nach Unterwasseraufnahmen an, nach dem Pfeifen von Walen und Ähnlichem. Lole Gessler scheint sein eigenes Echo mitzuproduzieren. So entstehen Dämonen, wie im Titel angekündigt, die nicht von ungefähr an das japanische Kabuki- und No-Theater erinnern. Deren traditionelle Geisterwelt hat den Tänzer ganz offensichtlich inspiriert bei seiner Suche nach Großstadt-Mutanten. Präsentiert werden diese im Morgenrock, in Knickerbockern oder in Plastik-Astronauten-Overalls samt Fliegerbrille. Zwischendurch wird Tee getrunken oder es werden Texte verlesen, über die Entstehung des Universums, wobei man nicht so recht weiß, ob das nun Wissenschaft oder barer Unsinn ist. Susanne Kukies entzündet Streichhölzer und erschreckt immer wieder aufs neue durch das Zertrümmern von Tassen.
Faszinierenderweise baut auch der Zufall Geschichten (ohne wäre es sehr wahrscheinlich langweilig). Nur sind diese Geschichten eben keine eigenen, sondern die der Lottozahlen, die in diesem Fall nicht für die Gier auf das große Geld sorgen, sondern für einen entspannten Theaterabend. Michaela Schlagenwerth
Institut Unzeit, 2. und 3. 12., 20 Uhr, Erkelenzdamm 11-13, Kreuzberg.
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