: Ehre ist keine Zierde
■ Nach 0:0 gegen die Niederlande bleibt das WM-Halbfinale für das neuformierte deutsche Hockey-Team erreichbar
München (taz) – Ins Reich der Tierwelt glitten Paul Lissek die Metaphern gleich zu Beginn der globalen Veranstaltung im australischen Sydney ab. Angsthasen scholt der Bundestrainer seine Hockey-Akteure nach dem unbefriedigenden 1:1 gegen Südafrika, den WM-Neuling im Zwölferfeld. Ungewohntes Grollen folgte auch nach zweiten Spiel des mondialen Championats, immerhin einem 6:0 über Belgien. Zuwenig Tore gegen einen desolaten Gegner, monierte Lissek diesmal. Das friedliche 0:0 mit Titelverteidiger Niederlande am Sonntag hat des Trainers Groll wohl nun ein wenig gelindert, froh gestimmt hat es ihn aber kaum.
Nun ist Paul Lissek (47) ein Mann, der sehr wohl weiß, wie man seine Leute erfolgreich trimmt. 16 Jahre steht der frühere Theologielehrer nun in Diensten des Deutschen Hockey-Bundes (DHB). Mit den Junioren gewann er dreimal (seit 1982) in Folge die WM, 1991 mit dem A-Kader die EM, ein Jahr später Olympia-Gold. Von internationalen Titeln gestützt sind die Worte des Pädagogen aus Limburg auf dem Kunstrasen Gesetz.
Verinnerlicht haben seine Spieler Lisseks Anweisungen nun aber erstmals im WM-Verlauf: Das 0:0 gegen den ewigen Erdteilrivalen Niederlande bringt den Sprung auf Rang zwei der Gruppe B. Gewinnt man am Dienstag gegen Indien, ist das angestrebte Halbfinale nah.
Ob das Remis die Spieler aber sicherer machen wird? Lange schon angeschlagen ist das Selbstbewußtsein der WM-Teilnehmer. Der Chef höchstpersönlich war es, der der Mannschaft das Vertrauen entzogen hat. Zu schwankend war Lissek die Mannschaft in der Vorbereitung, weil jung an Jahren und ohne die international nötige Courage. Einen Monat vor der WM versuchte der Bundestrainer, selbst etwas verunsichert, daher flugs vier ehemalige Nationalspieler aus dem goldenen Olympiateam zu reaktivieren. Das Quartett sollte dem Spiel wieder Stabilität verleihen. Doch sowohl die beiden 33jährigen Carsten Fischer und Volker Fried als auch Michael Matz (30) und Michael Hilgers (28) winkten dankend ab.
Sportlich war die überraschende Offerte wohl interessant: Immerhin hätten sie zum ersten deutschen Team gehören können, das den WM-Titel gewinnt. Mehr aber allerdings nicht. Denn außer sportlichen Meriten gibt's wenig zu verdienen. „Es gibt keine finanzielle Absicherung“, klagt etwa Hilgers. Der Gladbacher arbeitet selbständig im PR-Bereich und hätte sich für die WM drei Monate aus seinem Beruf ausklinken müssen. Für Hilgers unmöglich, ein Comeback war damit ausgeschlossen. „Jeder muß wissen“ sagt DHB-Präsident Michael Krause, „auf was er sich in der Auswahl einläßt.“ Hockeysport ist Amateursport. Doch dieser Umstand ist längst keine Zierde mehr. Die Zeiten, da sich die Nationalspieler einzig aus gutsituierten Familien des gehobenen Bürgertums rekrutiert haben, sind längst vorbei.
Die einzige Unterstützung für die Auftritte im DHB-Hemd wird monatlich von der Sporthilfe auf Spielerkonten versandt. Doch das ist allenfalls ein Tröpfeln zu nennen. Dem Verband selber fehlen generöse Geldgeber. Verläßt den DHB selbst ein kleinerer Mäzen, wie Mitte dieses Jahres geschehen, trifft das hart. Dann muß der Terminkalender gestrafft und mit der Ausstattung der Jugendteams geknausert werden.
Von den 16 nach Australien gesandten Spielern haben 14 einen Studentenausweis. Selbst gerade 25, ist Kapitän Christian Blunck der älteste. Der wird noch eine Weile für Lissek verfügbar sein. Blunck ist der Spieler, der vom Gewinn der Goldmedaille in Barcelona wohl am meisten profitiert hat. Er lebt vom Sport. Von Hamburg aus handelt Blunck mit Hockeyartikeln. Die Nationalmannschaft muß er sich daher aus grundsätzlichen wirtschaftlichen Erwägungen wohl noch länger leisten können. Ist man nämlich erst Weltmeister, kann man selbst als gewesener Angsthase seine Utensilien prima verkaufen. Maren Becker
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