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■ John Major hat die Vertrauensfrage überstandenDie gemeinsame Angst

Der britische Premierminister John Major hat die Schlacht überstanden – der Krieg ist aber nicht mehr zu gewinnen. Die Frage ist lediglich, ob die Tory-Regierung noch vor den Parlamentswahlen in gut zwei Jahren implodiert. Der „Selbstmordpakt“, mit dem Major das Kabinett zum kollektiven Rücktritt verpflichtet hatte für den Fall, daß die Abstimmung über das EU-Finanzierungsgesetz verloren gegangen wäre, ist ein Zeichen der Panik und beruht auf einer völligen Fehleinschätzung der Lage. Das Gesetz wäre letztendlich nie zu Fall gebracht worden, weil Labour und die Liberalen Demokraten das verhindert hätten. Als Major die Vertrauensfrage daran knüpfte, verschaffte er den Euro-Gegnern in seiner Partei erneut eine Plattform, die sie zu nutzen verstanden.

Die „Rebellen“, die sich trotz des drohenden Fraktionsausschlusses der Stimme enthielten, haben sich in den Augen vieler als aufrechte Demokraten erwiesen und der antieuropäischen Sache Auftrieb verschafft. Das Thema, das nach Verabschiedung der Maastrichter Verträge ausgestanden schien, ist wegen Majors Schwäche wieder auf die Tagesordnung gesetzt worden. Die Labour Party ist dadurch fast in die Rolle des Beobachters geraten: Bei der Debatte am Montag abend waren die Torys Regierung und Opposition in einem. Das einzige, was die Partei noch zusammenhält, ist die Angst vor Neuwahlen, weil dann mindestens hundert ihrer Abgeordneten die Koffer packen müßten. So muß die Bevölkerung wohl noch gut zwei Jahre tatenlos zusehen, wie sich die britische Regierung über die Runden quält.

Laut Meinungsumfragen ist John Major der unbeliebteste Premierminister aller Zeiten, selbst seine Vorgängerin Margaret Thatcher hatte kurz vor ihrem Sturz weit mehr Sympathien auf ihrer Seite. Auf die Taktik eines Führungswechsels können die Torys diesmal jedoch nicht zurückgreifen, weil es keine Alternative zu Major gibt. Der Schatzkanzler Kenneth Clarke, der als aussichtsreichster Kandidat für die Major-Nachfolge galt, hat es sich mit dem rechten Flügel aufgrund seiner bedingungslos proeuropäischen Rede am Montag verdorben. Die Favoriten der Eurogegner, Michael Potillo und Peter Lilley, sind zu jung und unerfahren, als daß sie eine Mehrheit auf sich vereinigen könnten. So bliebe Industrieminister Michael Heseltine, der schon Thatchers Abwahl einleitete. Sein angegriffener Gesundheitszustand spreche gegen ihn, hieß es bisher. Vielleicht könnte sich das jetzt als Vorteil erweisen: Die Torys sind untereinander viel zu zerstritten, als daß sie sich auf mehr als einen Übergangskandidaten einigen könnten. Ralf Sotscheck

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