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Im Schatten Fritz Schumachers

■ Otto Linne, Hamburgs erster Gartenbaudirektor, wurde heute vor 125 Jahren geboren

Sie sind nur wenige Wochen auseinander in Bremen geboren und haben sich beide – teilweise gemeinsam – um die Hamburger Stadtentwicklung verdient gemacht. Nur: den einen, Fritz Schumacher, feiert man in seinem Jubiläumsjahr, als habe er allein Hamburg neu erfunden, den anderen, Otto Linne, würdigt man gerade in ein paar Fußnoten in den zu diesem Anlaß erschienenen Fritz-Schumacher-Publikationen. Nicht, daß gegen ersteres etwas einzuwenden wäre. Aber in den Schlagschatten historischer Übergestalten fällt oft viel zuwenig Licht für jene, die, wie in diesem Fall, den Umbau einer Metropole im Geiste einer sozialen Erneuerung durch ihre Mitarbeit erst möglich machen.

Linne, Hamburgs erster Gartendirektor, dessen Geburtstag sich heute zum 125. Mal jährt, hat seit 1914 die Umstrukturierung des Hamburger Gartenwesens weg von wenigen Großparks hin zu einem allen Bevölkerungsschichten zukommenden Patchwork geprägt. Von Schumacher nach Hamburg geholt, um die Ausarbeitung des Hamburger Stadtparks zu leiten, gestaltet er bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges die Gartendetails dieses Furore machenden Volksparks neuen Typs. Außerdem begann er mit der Konzeption des Hammer Parks, der nach dem Krieg für die damals astronomische Summe von einer Million Mark fertiggestellt wurde.

Zu diesem Zeitpunkt begann Linne auch mit der Umsetzung seiner Idee von den Quartier-Parks. Ausgehend von dem Grundgedanken, daß, wenn die Armen nicht zu den Parks kommen können, die Parks zu den Armen kommen müssen, versuchte er in den dichtbesiedelten Arbeitervierteln wie Hamm, Hammerbrook und Eimsbüttel ein Park-Modell der „Trittsteine“ und Grünzüge zu verwirklichen, das trotz der Flächenbombardements in Hamburgs Osten immer noch zu erkennen ist. In Abkehr von den noch immer feudalistisch geprägten Parkentwürfen der Kaiserzeit entwarf Linne Funktions-Areale, deren Verbindung von Natur und Freizeitflächen sich an den Bedürfnissen der Quartiersbevölkerung orientierte. Sportplätze und Alte-Leute-Gärten, Planschbecken mit Sandstrand und Pinkelwinkel für die Kinder, Hütten zum Wickeln und Stillen und der erste Abenteuerspielplatz (Juniusstraße) – Linnes Vorstellungen von einem Sozialen Grün bestanden auch an den unscheinbarsten Orten in einem organischen Respekt vor den „Kleine-Leute-Freuden“.

In einer Schumacher-ähnlichen Produktivität entwickelte Linne bis zu seiner Pensionierung 1933 unter anderem 78 Kinderspielplätze, 38 Sportplätze, 6 Parkanlagen, 91 Dauerpachtgär-ten sowie neben der Detailplanung für den Stadtpark die Erweiterung des Ohlsdorfer Friedhofs. Außerdem leitete er bis 1929 das Garten- und Friedhofsamt der Stadt. 1937 starb Otto Linne in Klein Flottbek.

Trotz der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und der anschließenden Umfunktionierung großer Flächen in Industriegebiete im Osten der Stadt sind Linnes Grünflächensysteme vierlerorts wieder aktuell. Martina Nath-Esser von der Hamburger Gartendenkmalpflege erklärt sogar: „Im wesentlichen knüpft die Weiterentwicklung des Stadtgrüns heute an die öffentlichkeitsbezogene und sozialbestimmte Motivation der 1920er-Jahre-Planung an.“ So wird längs Linnes Grünspange von der Alster zur Elbe – von der Lohmühlenstraße über das Berliner Tor, den Grünzug am Hochwasserbassin Heidkampsweg zum projektierten Elbpark Entenwerder – wieder über ein zusammenhängendes Grünflächensystem nachgedacht, dessen Einzelteile teilweise schon in der Projektphase sind. Und vielleicht ist dieses konstruktive Andenken an den als bescheiden überlieferten Mann auch die bessere Würdigung gegenüber Prachtbänden und Festreden.

Till Briegleb

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