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■ Ein Begräbnis erster Klasse für die KSZEAbsturz in Budapest

Nach eineinhalb Tagen Optimismus war der Schock am Schluß des Gipfels um so heftiger. Trotz eines dramatischen Finishs kam keine gemeinsame Erklärung der Konferenz zu dem Krieg in Bosnien und der dramatischen Situation in Bihać zustande. Ja, zuletzt reichte es noch nicht einmal zu einem gemeinsamen Appell an die Kriegsparteien, einen Waffenstillstand zu schließen. Auch in den beiden anderen entscheidenden Punkten zur Zukunft der KSZE endete der Gipfel mit einer herben Enttäuschung. Die Initiative der deutschen EU-Präsidentschaft unter dem Stichwort „KSZE-First“, durch welche die Organisation in die Lage versetzt werden sollte, innerstaatliche und ethnische Auseinandersetzungen in Europa zu schlichten, scheiterte am Veto von Aserbaidschan und Armenien, weil sie die Möglichkeit vorsah, Entscheidungen auch ohne Zustimmung der Konfliktparteien zu treffen.

In diesem Zusammenhang gab es auch für die Probe aufs praktische Exempel der Handlungsfähigkeit der KSZE eine Beerdigung erster Klasse. Die Versammlung der Staatschefs konnte sich nicht auf die Entsendung einer KSZE-Friedenstruppe nach Nagorny Karabach verständigen, sondern erteilte der sogenannten Versammlung Hoher Beamter einen Prüfungsauftrag für eine mögliche spätere KSZE-Aktion in der Region. Dabei wäre gerade eine erfolgreiche Friedensmission in der zwischen Armenien und Aserbaidschan umstrittenen Enklave Nagorny Karabach für die Zukunft der KSZE von entscheidender Bedeutung gewesen. Erstmals sollte die Konferenz aller europäischen Staaten aus dem Stadium der Verabschiedung mehr oder weniger unverbindlicher Deklarationen heraustreten und tatsächlich aktiv werden – monatelang war ein solcher Schritt diskutiert und vorbereitet worden. Mühsam hatte man Rußlands Präsidenten Jelzin davon zu überzeugen versucht, daß eine von den Russen gewollte Aufwertung der KSZE dann auch die Kompetenz haben müßte, innerhalb der russischen Einflußzone aktiv zu werden, solle die Organisation jemals eine echte Konfliktschlichtungskompetenz bekommen.

Sicher wird nun offiziell behauptet werden, die Verzögerung habe objektive Gründe – erst einmal müsse ein formeller Waffenstillstand geschlossen werden etc. Tatsächlich wurde eine große Chance verspielt. Statt dessen werden nun die osteuropäischen Staaten um so massiver in die Nato drängen, um aus ihrer Sicht ans rettende Ufer zu gelangen. Und Rußland sieht die Chancen schwinden, zu einer Sicherheitsorganisation in Europa zu gelangen, in der es gleichberechtigt mitmischen kann.

Die Folgen sind absehbar: eine erneute Teilung Europas, die angeblich alle mit aller Kraft verhindern wollen. Die KSZE, die in Budapest runderneuert und zu einer neuen Organisation transformiert werden sollte, verliert weiter an Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Jene Länder, die bis zuletzt auf die KSZE gehofft hatten, werden sich nach Alternativen im eigenen Blockbereich umsehen. Die Steine für eine neue Mauer liegen bereit. Jürgen Gottschlich, Budapest

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