■ Der türkische Staat verurteilt gewählte Abgeordnete
: Zur Strecke gebracht

Die angeklagten kurdischen Abgeordneten klatschten Beifall, als das Staatssicherheitsgericht Ankara die Urteile fällte. Vom Volk gewählte Parlamentarier werden wegen ihrer Gesinnung für fünfzehn Jahre hinter Gitter gebracht. Perfekt haben sich die Richter demaskiert. Es ging nicht um Gesetze und Recht. Es ging um die Machtdemonstration des türkischen Regimes, es ging darum, jeden Kritiker der staatlichen Kurdistan-Politik – und sei es ein Parlamentarier – zur Strecke zu bringen. Der Rede von der „Ausmerzung“ und „Vernichtung“ der Guerilla folgen die Terrorurteile im Gerichtssaal. Keiner soll behaupten, die Türkei habe nicht Rücksicht genommen auf die internationale Kritik. Schließlich wurde niemand zum Tode verurteilt.

Als Mitglieder und Unterstützer einer „bewaffneten Bande“ wurden die Abgeordneten abgeurteilt. Als Beweis muß in der Urteilsbegründung herhalten, daß die Abgeordneten nicht die türkische Nationalhymne gesungen haben. Es ist ein lächerliches Spiel. Doch das Spiel ist ganz im Einklang mit der herrschenden Politik, die militärisch dem kurdischen Widerstand in der Türkei den Garaus machen will.

Kein türkischer Politiker zuvor hat sich so unverblümt dem Zynismus der Macht hingegeben, wie die Ministerpräsidentin Tansu Çiller. Jüngst sprach sie rührige Worte auf dem KSZE-Gipfel in Budapest. „Ich höre die Bomben, ich höre das Schreien der Kinder.“ Sie meinte das bosnische Bihać. Die Bomben und das Schreien der Kinder kann Çiller auch im eigenen Land hören. In den zerbombten Dörfern in den kurdischen Regionen. Im Jammer der Hunderttausende von Kurden, die aus ihrer Heimat vertrieben worden sind. Hat die Ministerpräsidentin die Leichen der kurdischen Bauern in Tunceli gesehen, die ermordet wurden, nachdem sie öffentlich, nämlich in türkischen Privatsendern, erklärten, das türkische Militär habe ihre Dörfer abgefackelt? Çiller, die sich in der Rolle der selbstgefälligen Kriegsherrin gefällt, war es auch, die die Abgeordneten zur Zielscheibe erklärt hatte: „Wir haben die Terroristen aus dem Parlament geschmissen.“

Die Bomben am Wochenende auf die kurdische Tageszeitung Özgür Ülke und die gestrigen Urteile weisen den Weg in eine düstere Zukunft. Die Spielräume ziviler Politik werden zerschlagen. Ein einfaches Motto: Man stecke Abgeordnete ins Gefängnis, bombardiere Zeitungen und ermorde unliebsame Journalisten. Nur noch die Waffen des türkischen Militärs und der kurdischen Guerilla PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) bleiben auf der Agenda. Ömer Erzeren, Ankara