piwik no script img

Wider den Nichtschenker!

■ Wer nicht schenkt, ist dumm, ein Schuft oder arm dran / Eine Gardinenpredigt zum richtigen Umgang mit Weihnachten

Irgendwann im Oktober, wenn bei Aldi die ersten Christstollen zu haben sind, kommt der Anruf. Letzes Jahr war es Inge, dieses Jahr ist es Paul. „Findest du nicht auch, daß wir mit dem Geschenkewahnsinn und dem Weihnachtsstress aufhören sollten? Ich schlage vor, daß wir uns dieses Jahr nichts schenken.“ Wer möchte schon für Wahnsinn und Stress sein? Außerdem gab es von Paul letztes Jahr diesen blöden Heilkräuterkalender. „Klar Paul, gute Idee.“

Man ist erleichtert. Nur irgendwo tief drinnen meldet sich ein komisches Gefühl, als wäre etwa verloren gegangen. Es ist etwas verloren gegangen. Paul ist ein Kumpel von gaaanz früher. Das Weihnachtspäckchen war die letzte Brücke. Vielleicht schreiben wir uns noch ein paar Jahre eine Weihnachtskarte. Dann lassen wir das auch fallen – der Weihnachtskartenstress...

Schenken heißt an jemanden denken. Weder Schenken noch Denken ist zwangsläufig lustig oder macht Spaß. Beides kann Stress bedeuten. Beides gehört aber in den Werkzeugkasten der erfolgreichen Beziehungsarbeit. Jetzt ist der Moment gekommen, ein neues Wort zu erfinden: Schenkarbeit. Schenkarbeit ist wie Beziehungsarbeit meist Frauenarbeit und entsprechend gering geachtet. Dabei funktioniert eine Gesellschaft nicht ohne sie.

Wenn man erst einmal den Grundkonsens über die Notwendigkeit von Schenkarbeit hergestellt hat, macht es viel mehr Spaß, über die erfreulichen Seiten des Schenkens zu reden. Wir unterscheiden die schlechten erfreulichen und die guten erfreulichen. Zu den schlechten gehören das Bestechungsgeschenk, das Do-ut-des-Geschenk (ich gebe, damit du gibst), das endlich-werde-ich-den-Nippes-und-die- Staubfänger-los-Geschenk sowie das Weiterreichen von Wanderpralinen. Hier reden wir von finaler Schenkarbeit, die nur so lange sinnvoll ist, wie's der andere nicht merkt.

Der gute erfreuliche Schenker verschickt kleine Päckchen mit Nettigkeiten, die niemanden unter Druck setzen. Bienenwachskerzen, Gutscheine fürs Theater oder selbstgebackenes Spritzgebäck können in den Päckchen sein. Die Ansichtskarten sind akzeptabel, aber nie erlesen. Hier werden die meisten Fehler gemacht. Wer sich nämlich bei dieser sozialen Schenkarbeit schon unter Druck setzt, jammert schnell über den Schenkstress.

Diesen sollten wir ganz einer kleinen Gruppe von Allerliebsten zukommen lassen. Nur hierhin gehören Kopfzerbrechen, verzweifelte Rundrufe, hektische Suchbewegungen bei Karstadt, der Sturz in Unkosten oder Laubsägearbeiten. Nur hier wird es ernst, weil es um alles oder nichts geht. Hier nämlich entscheidet die Liebe über die Qualität des Geschenks – oder eben die Abwesenheit von Liebe. Wir sprechen von existenzieller Schenkarbeit.

Wer die finale Schenkarbeit ablehnt, ist dumm. Wer die soziale Schenkarbeit sabotiert, ist ein Schuft. Wer aber den Geschenkestrom zu den Allerliebsten unterbricht, ist arm dran. Burkhard Straßmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen