: Ein moderner Reisepapst
Heinz Waldmüller weiß, was die Menschen fahren, fahren läßt: gute Dinge zu günstigen Preisen. Er, „der Billy Graham des modernen Shopping-Urlaubers“ ■ Von Jan Feddersen
Sein Name klingt so verläßlich wie deutsch, so vertrauenerweckend wie unauffällig: Heinz Waldmüller hätte keinen besseren Job finden können als den, welchen er immer noch bekleidet. Beim Süddeutschen Rundfunk arbeitet er in der ARD-Ratgeber-Redaktion: Waldmüller, ein Synonym für etwas, das für solide Kundeninformation bürgt.
In Wirklichkeit ist der Mann, geborener Franke und wohnhafter Schwabe seit 21 Jahren, der Reisepapst schlechthin. In den vergangenen fünf Jahren hat er mit seiner „Schnäppchenführer“-Reihe, die im baden-württembergischen Fink-Kümmerly + Frey-Verlag erscheint, dem deutschen Tagestourismus eine aufklärerische Note verliehen, mehr noch – er hat neue Routen entdeckt, verschlungene Pfade aufgetan zu den Orten, wo die schönen Dinge hergestellt werden, die wir begehren: Porzellan, Kinderspielzeug, Klamotten, Sportschuhe, etc. Er hat den Leuten zu dem verholfen, was sie insgeheim wünschen, wenn sie die Heimat verlassen – Shopping zum preisgünstigen Tarif, Konsum mit dem Gefühl, gespart zu haben.
Schnäppchen: Kein anderes Wort bringt westeuropäische Seelen mehr zum Schwingen, vielleicht von der stolz-stoßseufzenden Wendung „Man gönnt sich ja sonst nichts“ mal abgesehen. Schnäppchen, wir wissen es alle, das sind Dinge, die teuer sind und die verdächtigt werden, woanders billiger zu sein. Ein Schnäppchen ist das Sonderangebot heutiger Tage. Heinz Waldmüller hat früh erkannt, daß dieser Begriff die Menschen heiß macht.
Wie heißt es so treffend in einem seiner Führer: „Wir leben in einem Einkaufsparadies. Die meisten Verbraucher kennen es nur noch nicht.“ Und Heinz Waldmüller, der während der sechziger Jahre als Pressesprecher des Erlanger Bürgermeisters diente und in dem das Jahr 1968 den Wunsch reifen ließ, „es auf der anderen Seite des Schreibtisches zu probieren“, Waldmüller also setzt uns alle in Kenntnis.
Mit ihm und seinen Büchern erfahren wir, daß „Boss“ Anzüge in Metzingen verkauft und „Inge- Glas“ in Neustadt bei Coburg seinen Weihnachtsschmuck erheblich unter dem Ladenpreis verscheuert, beispielsweise. „Qualität zum günstigen Preis“ sei dort zu haben, sagt der Mann, 50 Jahre jung und von unaufgeregt freundlicher Art, wie man sie im Norden der Republik nur selten antrifft. Seine warmherzig-sonore Stimme tilgt jedes Mißtrauen, es bei ihm mit einem Heizwolldeckenverkäufer auf höherem Niveau zu tun zu haben.
Gewiß, versichert Waldmüller, dieser Billy Graham des modernen Shopping-Urlaubers, hätten die Achtundsechziger-Ideale im Laufe eines guten Vierteljahrhunderts ein wenig gelitten. „Aber man könnte sagen, daß die Schnäppchenführer dazu beitragen, daß Leute, die es nicht so dick im Portemonnaie haben, auch Dinge erwerben können, die eigentlich nicht in ihr Budget passen.“ Er sagt es einfach so, ohne Zynismus, ohne Sinn dafür, daß Armut eventuell grundsätzliche Ursachen haben könnte – der gelernte Journalist, der von Kollegen als ausgesprochen solidarisch geschildert und dem ein ausgeprägter Hang zu kooperativen Arbeitsformen nachgesagt wird, mag nicht in die Zukunft schweifen, um Not & Elend zu lindern.
Waldmüller darf mithin gern als Realo des Hier & Jetzt bezeichnet werden, praktisch veranlagt, wie er ist, und allzeit fern jedweder Befreiungstheologie. In den siebziger Jahren hat er sich zum Spezialisten wider das real existierende Bodenrecht entwickelt. Er hat sich immer für eine Kommunalisierung von Grund und Boden ausgesprochen, schon allein, um allen Menschen das zu ermöglichen, was er sich mit seiner Familie vor neun Jahren gegönnt hat: ein Häuschen vor den Toren der Stadt, in Filderstadt, in Wurfweite zum Talkessel Stuttgarts.
Das Eigenheim, ein schmuckes, lichtdurchflutetes Haus, eine Mischung aus „Schöner Wohnen“ und ökologischer Vernunft, hat ihn überhaupt erst dazu gebracht, über Direktshopping über Fabrikläden nachzudenken: Eine Freundin brachte ihm und seiner Frau zum Richtfest eine Rolle mit Geheimadressen von Firmen mit, deren Produkte nicht erst über den Fachhandel oder über Kaufhäuser verdealt werden. „Und dann habe ich eine Sendung gemacht über Geldsparen. Zwei Beiträge stammten von mir, andere waren origineller. Aber die Anruferinnen wollten nur die Adressen.“ Bei dieser Gelegenheit erinnerte er sich, daß Fabrikdirektkauf während seiner Kindertage zum selbstverständlichen Alltag gehörte: „Als Franke kennt man Herzogenaurach. Also ,adidas‘ und ,Puma‘. Für zehn Mark Spikes oder Stollenschuhe – und der Mutter haben wir erzählt, daß sie 25 Mark gekostet haben.“ Das nennt man einen Prototyp des modernen Homo oeconomicus: doppelt sparen und doch die Ware bekommen, die ein gutes Image verspricht.
Doch erst der Verlag Fink- Kümmerly + Frey hat ihm das Buchprojekt ermöglicht – und zu beidseitiger Zufriedenheit inzwischen in 1,2 Millionen Exemplaren unter das Volk gebracht. Die Schnäppchenführer sind die heimlichen Bestseller der Reisebranche, deren ewiger Ausstoß in Sachen Sehenswürdigkeiten immer schleppender goutiert wird – übrigens der Entwicklung in den USA durchaus hinterhereilend, wo traditionelle Reiseführer in der Beliebtheit abgelöst wurden durch Guides, die die genauen Wege zu den Shopping-Malls enthalten.
Waldmüller kann es sich leisten, nur noch mit halber Kraft beim Süddeutschen Rundfunk zu arbeiten: „Der Streß wurde einfach zu groß, beide Aufgaben zu kombinieren.“ Er widmet sich nun seinem Haus, seinen beiden Kindern, seiner Frau und sich selbst, einem Mann, der jede Lebenskrise bisher nach eigener Aussage ausgeruhter als zuvor überstanden hat: Er weiß, daß er den Menschen so etwas wie ein bißchen Glück ermöglicht hat. Muß es ihn kümmern, daß manche beim Gedanken an eine Reise, die nur des Konsums wegen stattfindet, die Nase rümpfen?
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