piwik no script img

„Macht hoch die Tür, das Tor macht weit“

■ Gesang und Andacht / Sonntagsspaziergang vorm Abschiebeknast Glasmoor Von Kaija Kutter

„You must be free!“, ruft eine Frau über Lautsprecher. „Yeah!“, jubelt ein Gefangener zurück. Zwei hohe Gitter trennen die beiden an diesem verregneten Sonntag vor dem Abschiebegefängnis Glasmoor, dem Knast aus Containern. An den erleuchteten Fenstern drängen sich die Gefangenen, antworten auf Französisch und Spanisch.

Am 6. November hatten sich 41 der 77 Häftlinge geweigert, nach dem Hofgang in die Zellen zurückzukehren. Seither ist es das dritte Mal, das Unterstützer zum „Sonntagsspaziergang“ kommen, um den Menschen zu zeigen, daß sie nicht vergessen sind. Denn in dem Provisorium auf der Wiese verharren monatelang Menschen, deren einzige „Straftat“ darin besteht, nicht zugesagt zu haben, daß die „freiwillig“ die BRD verlassen.

„Es gibt am Flughafen eine Möglichkeit, wie ihr euch gegen Abschiebung wehren könnt“, erklärt ein Mann über Megaphon. „Überzeugt die neben euch sitzenden Passagiere, sich nicht anzuschnallen. Dann darf das Flugzeug nicht starten.“ Der Hinweis, obwohl kompliziert, wird übersetzt.

Dann folgt der kirchliche Teil. Weil es „nicht beruhigend“, sondern „erregend und aggressionsfördernd“ wirke, war einem Pastor vergangenen Sonntag eine Andacht vor dem Gefängnis untersagt worden. Er sollte seine Worte in einem halben Kilometer Entfernung sprechen, hielt sich aber nicht daran und stapfte zu einer 80 Meter vom Gefängnis entfernten Wiese.

Dem Probst des Kirchenkreises Stormarn, Helmer-Christoph Lehmann, ist es an diesem Sonntag gestattet, in Rufweite zu predigen. „Wir stehen hier nicht, weil es gegen die Mitarbeiter der JVA-Glasmoor geht“, sagt er. „Wir stehen hier, weil wir gefangener Menschen in ihrem Flüchtlingsdasein in der Fremde gedenken wollen.“ Weil dort die Würde des Menschen „mehr als angetastet wird“. Weil man wisse, daß der Mensch nicht des Gesetzes willen da sei, sondern umgekehrt. Unmenschliche Gesetze müsse man ändern.

Die Gesangsblätter, auf deren Rückseite die Erklärung der Evangelischen Synode gegen Abschiebehaft gedruckt ist, weichen im Regen auf, Pfefferminzatem schützt die tapferen Kirchenanhänger vor Erkältung, die singen: „Macht hoch die Tür, das Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit“. „Open the door“, wird kämpferisch übersetzt. Da geht das Licht in einer Zelle aus. „Does anyone know what happened?“ Keine Reaktion vom Fenster.

„Wir haben sie nur für zwei Minuten in den Flur geholt, um zu sagen, daß sie ruhig sein sollen“, erklärt ein Anstaltsmitarbeiter auf Nachfrage der taz. „Wenn die hier draußen was von ,freedom' hören, denken die doch, sie können raus.“

Um derartige Irritationen zu verhindern, will sich die Gefängnisleitung die Sonntagsspaziergänger vom Leibe halten, erteilt „Anstaltsverbote“ für Besucher, die sonntags gesehen wurden. Doch die von Flüchtlingsrat, Antirassistischem Telefon und Kirchengemeinden gegründete „BesucherInnengruppe“ ist überzeugt, daß die Flüchtlinge den Kontakt dringend brauchen. Für morgen 14 Uhr ist deshalb der Besuch einer Delegation geplant.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen