■ Japan hat eine neue Oppositionspartei
: 6.000 Jahre Despotie gehen zu Ende

Warum nicht einmal hier behaupten, was den Kritikern der politischen Korruption in Japan entgeht: Japan ist dank seiner am Wochenende gegründeten oppositionellen „Neuen Fortschrittspartei“ (NFP) von Neokonservativen, Buddhisten, Bürgerrechtlern und Sozialdemokraten auf dem besten Wege, zu einem Demokratiemodell für zwei Drittel der Menschheit zu avancieren. Denn wenn sich der Grundgedanke der NFP erfüllt, und alles spricht derzeit dafür, dann verfügt Japan jetzt über eine glaubwürdige politische Alternative zu den regierenden Liberaldemokraten – und wäre damit die erste funktionierende Mehrparteiendemokratie nach 6.000 Jahren Despotie, Kaisertum und Einparteienherrschaft in Asien.

Was die Idee so interessant macht, ist die unbestreitbare Tatsache, daß Japan längst ein Modell für Asien ist – zwar von den meisten Asiaten bislang nur in wirtschaftlicher Hinsicht anerkannt, aber bei genauerem Beschauen ist es schon mehr als das. Wie könnte es sonst sein, daß die heutigen politischen Verhältnisse in Südkorea und Taiwan bis ins Detail den alten japanischen Verhältnissen unter der Einparteienherrschaft der Liberaldemokraten gleichen? Gibt es demnächst also auch Aussichten auf Regierungsalternativen in Seoul und Taipeh? Vielleicht ist die alte Auffassung, daß mit mehr und besser verteiltem Wohlstand auch mehr Demokratie einhergeht, doch noch stärker als die von den Tyrannen des pazifischen Wirtschaftsbooms in Singapur und Kuala Lumpur gefeierten „asiatischen Werte“.

Noch wichtiger ist: In Japan haben wirtschaftliche Faktoren – vor allem der Zwang zur Liberalisierung eines unter den Liberaldemokraten teilweise planwirtschaftlich verwalteten Binnenmarkts, der dem Land die langfristigen Wachstumschancen raubte – das System zur politischen Öffnung gezwungen. Insofern ist auch das NFP-Parteiprogramm, das viele ideologische Fragen unbeantwortet läßt, am entscheidenden Punkt glaubwürdig: denn es verlangt den Abbau des liberaldemokratischen Bürokratenstaats und eine Deregulierung der Wirtschaft. Das hat unter japanischen Bedingungen nur sehr wenig mit thatcheristischem Radikalismus zu tun – Japan ist die egalitärste Gesellschaft der Welt: Reiche Leute zahlen hier 65 Prozent ihres Einkommens zurück an den Staat, und Tokioter Bürokraten entscheiden über jede Bushaltestelle in der Provinz. Liberalisierungsprogramme, die – ähnlich wie in Japan – die zentralstaatliche Arroganz herausfordern, werden aber eines Tages auch in Südkorea und Taiwan, und vor allem in China nötig sein, wenn es denn in diesen Ländern wirtschaftlich weiter bergauf gehen soll. Japan zeigt also, daß die Aussichten für die Demokratie in Asien besser sind, als viele im Westen heute denken. Georg Blume