: Der natürliche Feind heißt Techno
Play it again, Sam? HotelbarpianistInnen in Berlin – im Hilton wurden sie bereits durch einen Computer ersetzt, aber Reservate gibt es noch: Craig Lees im Interconti, Yvonne Harris im Esplanade ■ Von Jörg Joachim Riehle
Es gibt ihn noch, den klassischen Barpianisten, aber er ist selten geworden. In Zeiten unsicherer Konjunktur wandert der Schwarzkittel in eines seiner letzten Rückzugsgebiete ab, die Piano-Bar der Luxushotels. Dort ist er sicher vor den natürlichen Feinden seiner Spezies: Techno- Music, Rezession und Antialkoholikern. Zum Klischee des Barpianisten zählen der traurige Sam aus Casablanca, Smoking, Flügel, Frauen und harte Drinks, aber der erfolgreiche Barpianist von heute sieht anders aus.
„Wer Klavier spielt, hat Glück bei den Frau'n“, zumindest diese alte Schlagerweisheit scheint Craig Lees zu bestätigen. Auch ohne Smoking, leger im Armani-Schlabber-Look gekleidet, ist er der unbestrittene Star in der Marlene- Bar im Hotel Interconti. Umgeben von Marlene-Postern, holzgetäfelten Wänden und bequemen Clubsesseln mit distinguiertem, cocktailsicherem Publikum, sorgt er für das musikalische Ambiente zum Wohlfühlen.
Wenn er mit seiner Elton-John- Stimme ins Mikrophon haucht und gefühlvoll die Tasten knetet, werden selbst die härtesten Geschäftsfrauen schwach und legen ihm rote Rosen auf den Flügel, manchmal sogar mit Telefonnummern dran. Trotzdem wird er sich kein Funktelefon zulegen, denn Craig hat seine Traumfrau schon lange gefunden. Sie ist überhaupt schuld daran, daß er in Berlin strandete, fuhr der doch einst als stolzer Barpianist zur See, in allerfeinster Gesellschaft, auf der Mutter aller Traumschiffe, dem Ozeanliner Queen Elizabeth II.
Mit zwölf Jahren schon die erste Platte
Die feine englische Art wurde ihm in Nottingham in die Wiege gelegt. Kaum diesem infantilen Gefängnis entronnen, unternahm Craig die ersten Gehversuche, unterwegs hielt er sich am Klavier fest, und obwohl er die Tasten noch nicht sehen konnte, wußten seine Finger schon, wo's langgeht.
Schon mit zwölf Jahren hatte der kleine Autodidakt dann zusammen mit seinem Zwillingsbruder am Schlagzeug die erste Platte eingespielt. Mittlerweile beherrscht Craig Lees ein riesiges Repertoire, er spielt Jazznummern seines Vorbilds Oscar Peterson am Flügel genauso stilsicher wie Hits von Randy Crawford oder Sting, die er mit Synthesizer und Dumcomputer zeitgemäß interpretiert. Diese beiden Superstars zählten auch schon zu Craigs Bar-Publikum.
Freiheitsstatue in Harry's New York Bar
Auf dem Höhepunkt seiner Bar- Piano-Karriere angelangt, steht jetzt ein neues Plattenprojekt an, keine Barmusik, keine Evergreens, sondern eigene Musik, die bislang immer zu kurz kam. Das Leben an der Bar hält für den Mann aus Nottingham keine Überraschungen mehr bereit, zu viele Cocktails liegen hinter ihm, zu lange hat er für die Schönen und Reichen gespielt, jetzt versucht er ein anderes Publikum zu entdecken.
Während Craig in der Bar-Piano-Musik nur eine Station seiner erfolgreichen Musikerlaufbahn sieht, ist sie für Yvonne Harris die Verwirklichung ihres Lebenstraums. Die smarte schwarze Lady aus Ohio verkörpert die Freiheitsstatue in Harry's New York Bar. Auf musikalischem Gebiet, versteht sich.
Für all diejenigen, die im schützenden Hafen der Berliner Nobelbar alkoholisches Asyl beantragen, spielt und singt sie die Songs aus der Neuen Welt: Melodien von Cole Porter, George Gershwin und Duke Ellington werden von ihrem Flügel an die Bar geweht. Passend dazu hängen Portraits der amerikanischen Präsidenten über Yvonne an der Wand. Manchmal scheinen sie im Takt mitzuswingen.
Berlin-Fan Hilly-Billy Clinton würde wahrscheinlich aus dem Rahmen fallen und sein Saxophon auspacken, wenn er Yvonnes Jazz hören könnte. Aber die hat schon mit besseren Musikern gespielt, mit Count Basie, B.B. King und ihrem Vorbild Dave Brubeck. Die charmante Lady in den Vierzigern braucht auch Vergleiche mit Nina Simone und Billie Holiday nicht zu scheuen, ihre Musik ist Balsam für die Seele. Eigentlich war Yvonnes Karriere ein anderer Verlauf bestimmt: Im Amerika der fünfziger Jahre hatten es schwarze Entertainer schwer, so verzichtete die junge Pianistin, dem Wunsch ihrer Eltern entsprechend, aufs Showbusiness und studierte klassische Musik. Sie spielte mit Begeisterung Beethoven und Chopin, das ganze klassische Repertoire, und sang Partien aus Verdis Opern. Eine solide Existenz als Professorin für Musiktherapie schloß sich an.
Aber dann verwirklichte Yvonne ihren Traum vom American Way of Life, sie begann als Barpianistin um die Welt zu reisen. Musiktherapeutin ist sie trotzdem geblieben. Zum Beispiel für den amerikanischen Geschäftsmann aus San Francisco, der ihr fasziniert zuhört. „I left my heart in San Francisco...“, singt sie für ihn und für sich selbst, glücklich darüber, wieder mal einen Landsmann im kalten Berlin zu treffen.
Gelangweilten Yuppies das Beste
Selbst für Tastenprofis wie Craig Lees und Yvonne Harris ist es schwer, ihr verwöhntes Publikum zu Beifallsstürmen hinzureißen. Beide spielen für einen Hörerkreis, der sich aus gestreßten Kongreßteilnehmern, VIPs und Yuppies zusammensetzt, die gelangweilt an Drinks nippen oder an Erdnüssen knabbern, die genauso gesalzen sind wie die Cocktailpreise der Hotelbars.
Und hier zeigt sich ein Dilemma des Berufsstandes: Der Musiker am Klavier bietet vorwiegend visuell orientierten Besuchern zu wenig.
Seinem erwartungsvollen, farbfernsehgeschädigten Auge präsentiert sich ein schwarzweißes Hörereignis mit minimalen Stilmitteln: Musik in Dur und Moll, mal instrumental oder vokal, mal laut und schnell, aber meistens leise und langsam. Weil das Auge die Musik logischerweise nicht wahrnimmt, bleibt der visuelle Zuhörer oft teilnahmslos.
Das Radisson-Plaza-Hotel hat die Zeichen der Zeit erkannt, dort ist der Pianist nur noch Begleiter der „Singing Stars“. Mit drahtlosen Mikrophonen ausgestattet, singt das Servicepersonal zur E-Piano- Begleitung. Mit der Verwandlung der Hotelbar in eine Bühne ist dem Hotel eine zumindest optisch reizvolle Variante der Barmusik gelungen.
Finanziell reizvoll ist die Bar- Show nur für den Veranstalter, die „Singing Stars“ warten vergebens auf Stargehälter, ihr Stundenlohn bleibt der eines Kellners. Mit einer anderen kostengünstigen Problemlösung vermag das Hilton- Hotel aufzuwarten: Ein Computer-Flügel sorgt hier für unpersönliche Barpianomusik. Play it again, Sam? Heutzutage verhallen die Rufe der Bergmann meistens ungehört.
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