Haarspray im Rauschebart

■ Rote Kostüme in Größe XXL, Mehlpampe im Gesicht und die Sinnfrage: Auch ein Weihnachtsmann hat seine Sorgen Von Lisa Schönemann

Jedes Jahr dasselbe. Am 24. Dezember in aller Herrgottsfrühe fällt dem Weihnachtsmann ein: Verflucht, ich hab' nüscht anzuziehen. Regelmäßig klingelt beim Kostümverleih Elke Lustig in Wedel Heiligabendmorgen das Telefon: „Ham se noch...?“ Achtundzwanzig samtene Roben sowie passende Zipfelmützen hat die Dame genäht, und es reicht noch immer nicht aus. Stöhnend erinnert sich die Schneiderin an einen korpulenten Knecht Ruprecht, dem seine Uniform nicht mehr paßte. In aller Eile habe sie für den Herrn ein Kostüm in Größe XXL herstellen müssen. „Der brauchte wirklich kein Kissen vor dem Bauch...“

Gut gewachsen und breitschultrig sollte er schon sein, der Mann mit dem Rauschebart. Wenn es nach Pia geht, wird er sich in diesem Jahr „ganz schön einen abschleppen“. Pia ist fünf. In dem Spielzeug-Katalog, den die Großeltern dem Mädchen mit der Maßgabe „kreuz' doch an, was Dir gefällt“ als Anregung geschickt haben, hat die absolut konsumresistent erzogene Enkelin sorgfältig jede einzelne Puppe, jeden Roboter und jede Kinder-Synthesizeranlage mit einem dicken Kreuz versehen. Der Weihnachtsmann ist ratlos. In seinen Sack muß auch noch der „Kaufmannsladen mit echter Kasse“ für Charlotte (5) passen, die sich bis zuletzt nicht entscheiden konnte, ob sie nicht doch lieber die Puppe haben möchte, „die ein Geschäft machen kann“.

Die Geschäftemacherei zu Weihnachten ist besonders den grün angehauchten Eltern ein Greuel. Ein entnervter Vater: „Um Barbie kommt auf die Dauer niemand herum.“ Das Plastik-Übel mit der Traumfigur samt pickellosem Freund Ken wird meist von Tanten und anderen Anverwandten unter den Weihnachtsbaum geschmuggelt. Ganz oben auf den Wunschzetteln steht in diesem Jahr die pinkfarbene Hochzeitskutsche der beiden. Am ersten Weihnachtstag, wenn die Vierjährigen völlig in ihr Spiel vertieft sind, muß Ken sich dann anhören, „daß er jetzt mal mit Abwaschen dran“ sei. Die Töchter der Alternativbewegung hauchen Barbie völlig neue Töne ein.

Die Fünf- und Sechsjährigen können Knecht Ruprecht ganz schön ins Schwitzen bringen. Wie ist das, wenn ein Pappenheimer den Rotmantel, der gerade mit tiefer Stimme zu einer kleinen Ansprache ansetzt, mit einem vernehmlichen „Dich gibt's doch eigentlich gar nicht“ konfrontiert? „Ich hatte mal einen Jungen, der prüfte mich bei der Bescherung auf Herz und Nieren“, berichtet ein Weihnachtsmann, der es wissen muß. Da habe er sein dickes goldenes Buch aufgeschlagen und hervorgehoben, daß der Bub „ein toller Schwimmer“ sei. Das konnte nur ein echter Weihnachtsmann wissen, die Zeremonie war gerettet. Verstohlen erzählt er von seinem größten Flop. Er hatte sich strategisch vorbereitet, Mütter ausgehorcht und sich Notizen gemacht, bevor er bei einer Adventsfeier zur Tür hereinschneite. Drei Kinder sollten einzeln für ihre Reitkünste, ihr Flötenspiel oder für ihr Kräuterbeet gelobt werden. Da stand er nun vor drei blonden Jungen in verwaschenen Marinetrachten, die sich äußerst ähnlich sahen, und suchte verzweifelt nach einem Hinweis, wer nun der begabte Flötenspieler sein könnte... „Haste uns wenigstens was mitgebracht?“ brachten die Knirpse den stotternden Mann endgültig aus dem Konzept. Der Glanz in den Augen der Erwachsenen sei auf der Stelle erloschen, erinnert sich der Weihnachtsmann. Knurrend hätten sie ihm sein Honorar in die Hand gedrückt.

Etwa achtzig Mark kostet es, den Herrn mit den Rentieren vor dem Schlitten in die eigenen vier Wände zu locken. Er trägt eine rote Kutte, rote Hosen und frisch gewienerte Bundeswehrstiefel. Seine Augenbrauen hebe er mit Hilfe „einer Paste aus Mehl und Wasser“ hervor, verrät ein Weihnachtsmann, der sich davor fürchtet, daß die Kinder bei seinem Anblick gleich nach dem Nintendo schreien. Das Outfit muß stimmen. „Meinen Rauschebart habe ich mit Drei-Wetter-Taft aufgefrischt.“ Und von einer Sinnkrise will er nichts hören – schon wegen der sicheren Einnahmequelle.