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Det is Berlin: Visapflicht im Kreißsaal

Wie die Ausländerbehörde der Hauptstadt anhand von Amra S. und ihres kleinen Sohnes Erol die biblische Geschichte aktualisiert / Zeugung und Geburt nur mit amtlicher Zustimmung?  ■ Von Ute Scheub

Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von Berlins Innensenator Dieter Heckelmann ausging, daß der ganze Stamm der Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien geschätzt würde. Und jedermann ging, daß er sich schätzen ließe, ob er Gnade finden und hier weiter geduldet würde, oder ob er Grausamkeit ablesen müßte von des Innensenators christlich- demokratischem Antlitz und in seine zerstörte Heimat zurückkehren müßte.

Es begab sich aber, daß, während Amra S. aus der Stadt Sarajevo in Berlin weilte, die Zeit kam, daß sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in ein Bettchen.

Und so begab es sich weiter, daß die Schätzer in der Ausländerbehörde Kunde davon bekamen, und sie sprachen zueinander: Lasset uns diese Sache ergründen, die geschehen ist. Und sie ließen sich von ihren Spähern berichten von Amra und ihrem Kinde Erol. Als sie das aber gehört hatten, huben sie an und sprachen: Das ist gewißlich nicht rechtens, daß diese Frau, die hier nur geduldet wird ob unserer Gnade, sich auch noch vermehren und neue Esser in die Welt setzen darf.

Und so begab es sich wenig später, daß Amra einen Brief in den Händen hielt. Der Brief aber war gerichtet an ihren Sohn. Und die Ausländerbehörde teilte „Herrn Erol S.“ unter dem Geschäftszeichen IV B 3445 folgendes mit: „Sie sind ohne das für Zweck und Dauer Ihres Aufenthalts erforderliche Visum, das Ihnen vor der Einreise von der zuständigen konsularischen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland mit unserer Zustimmung hätte erteilt werden müssen, eingereist.“ Und Amra verging fast vor Verwunderung und Gram. Sie hatte nicht nachgefragt beim hohen deutschen Konsulat in ihrer Heimatstadt Saravejo, ob sie die Erlaubnis hätte, in Berlin einem Manne beiwohnen zu dürfen.

Es begab sich aber, daß das Natterngezücht der Schätzer kein Mitleid je gekannt hatte. In ihrem Brief redeten sie zu dem Kindlein in seinen Windeln mit Worten wie Schwerter: „Sie sind verpflichtet, die Bundesrepublik Deutschland unverzüglich zu verlassen (§42 Abs.1 AuslG). Wegen der derzeit in Ihrem Heimatland herrschenden Verhältnisse werden wir Ihren Aufenthalt für die Dauer von zunächst 6 Monaten dulden.“

Als Amra das las, war um sie herum nur noch Kummer. Da hatte sie gelebt in diesem Lande so viele Jahre, da sprach sie seine Sprache, als sei sie niemals fremd gewesen. Es war nämlich so gewesen, daß sie des Jahres 1971 in die große Stadt Berlin gekommen war, da war sie selbst noch ein Mägdelein und zählte nicht mehr als zwei Jahre. Fremde Männer hatten ihren Vater geworben, hier zu arbeiten im Schweiße seines Angesichts. Und mit Vater und Mutter und Schwester machte sie in Berlin der glücklichen Jahre ein ganzes Dutzend voll. Doch im Jahre 1983 begab es sich, daß sie als einzige zurückgeschickt wurde nach Sarajevo, um ihren blinden Großvater zu versorgen. Indes geschah es nach einigen Jahren, daß die Serben einen Krieg sandten, der Tod und Hunger und Elend über alle brachte. Und Amra dachte, sie könnte Schutz finden bei ihren Eltern in jener fernen Stadt, die so lange ihre Heimat gewesen war. Und es begab sich an einem kalten Februartag des Jahres 1991, daß sie wieder hier war in den Armen ihrer Familie.

Und ihre Angehörigen lebten hier schon lange Jahre und waren im Besitze einer ordentlichen Aufenthaltserlaubnis. Doch Amra war abhängig von der Gnade des Herrn aller Ausländer in Berlin, und der Herr wollte nichts wissen von ihrem Begehren, im Kreise ihrer Familie leben zu dürfen.

Und so kommt es, daß diese Berliner Weihnachtsgeschichte nicht endet im Frohlocken der himmlischen Heerscharen über das Kindlein, das da geboren. Sondern sie endet mit einem amtlichen Stempel im Passe Amras: Die Mutter und und ihr kleiner Sohn würden hier geduldet bis April 1995, nicht länger.

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