: "Dauerstreit über Trittbrettfahrer"
■ Hamburgs ÖTV-Chef Rolf Fritsch über die Absicht seiner Gewerkschaft, Unorganisierte ArbeitnehmerInnen künftig von regionalen Tarifvereinbarungen auszuschließen / Als Anfang sind Investivlöhne im...
Die ÖTV in Hamburg will in regionalen Tarifverträgen künftig über Investivlöhne verhandeln und dabei festlegen, daß entsprechende Leistungen ausdrücklich nur Gewerkschaftsmitgliedern zugute kommen sollen. Die taz sprach darüber mit Hamburgs ÖTV-Chef Rolf Fritsch.
taz: Die ÖTV Hamburg will Tarifverträge abschließen, die nur Mitgliedern zugute kommen sollen. Wie könnte sich das in der Praxis auswirken, haben die Unorganisierten dann künftig weniger Lohn in der Tasche?
Rolf Fritsch: Als Klarstellung vorneweg: Es geht bei meinem Vorstoß nicht um die zentralen Lohn- und Gehaltsrunden, da gäbe es ja auch rechtliche Probleme mit einer Differenzierung nach ÖTV- Mitgliedschaft. Ich will auch aus den bestehenden Tarifverträgen niemandem etwas wegnehmen. Aber wir machen eine Menge regionaler Tarifverträge und viele Haustarifverträge im privaten Unternehmensbereich. Da könnte ich mir den Bereich der Nebenleistungen vorstellen und hier insbesondere die Frage Investivlohn oder Vermögensbildungen, wo man zu Regelungen kommen kann, die auf Gewerkschaftsmitglieder beschränkt sind.
Das heißt, wenn die Beschäftigten dann mit soundsoviel Prozent am Unternehmensgewinn beteiligt werden, gilt das nur für ÖTV-Mitglieder?
Es müßte dann eine Ausschlußklausel mit den Arbeitgebern vereinbart werden, daß Unorganisierte von diesen Ergebnissen nicht betroffen sind.
Ist das rechtlich überhaupt zulässig?
Es gab mal eine Diskussion Ende der 80er Jahre. Da hatte die Gewerkschaft Nahrung Genußmittel und Gaststätten (NGG) eine Vorruhestandsregelung vereinbart und wollte sie auf die Gewerkschaftsmitglieder beschränken. Da gab es eine intensive Diskussion mit Juristen. Das Bundesarbeitsgericht traf damals eine Entscheidung, daß über solche Regelungen niemand gezwungen werden darf, in eine Gewerkschaft einzutreten.
Diesen Vorwurf könnte man Ihnen jetzt doch auch machen?
Es gibt in den juristischen Kommentaren dazu die Diskussion, wann die negative Koalitionsfreiheit berührt ist. Da gibt es Kommentatoren, die sagen, daß Vorteile bis zur Höhe des Gewerkschaftsbeitrages zulässig sind, einige sagen bis zur Höhe des doppelten Gewerkschaftsbeitrages. Was darüber hinausginge, das sei dann schon Zwang.
Das heißt, die Vorteile aus den Tarifverhandlungen dürfen ein Prozent vom Bruttoeinkommen, nämlich den Gewerkschaftsbeitrag, nicht übersteigen. Dann wäre ein Ausschluß von Unorganisierten erlaubt.
Dann wäre das zulässig.
Angesichts dieser juristischen Spitzfindigkeiten entsteht der Eindruck, daß sie mit ihrem Vorstoß vor allem ein politisches Signal setzen wollen. Sollen die Nicht-Gewerkschaftsmitglieder merken, daß Tarifverträge nicht automatisch ihnen zugute kommen?
Wenn Tarifverhandlungsergebnisse immer folgenlos und ohne Abstriche auf Unorganisierte übertragen werden, dann stellt sich natürlich irgendwann die Frage, wozu Tarifautonomie noch da ist, wozu Gewerkschaften als Interessenverband noch da sind. Wir haben in den Betrieben und Dienststellen die Diskussion, daß Tarifverhandlungsergebnisse in den vergangenen Jahren schwer erkämpft werden mußten – mit Streiks und dem damit einhergehenden Verzicht auf Lohn. Daß die Ergebnisse hinterher immer einfach auf Unorganisierte übertragen werden – Stichwort Trittbrettfahrer – ist natürlich ständiger Streitpunkt.
Wollen Sie mit Ihrem Vorstoß also Beschäftigte motivieren, in die ÖTV einzutreten, auch angesichts des Mitgliederschwunds?
Mir geht es darum, daß wir in den nächsten Jahren eine sehr schwierige Situation haben werden, auch unter dem Stichwort Globalisierung der Märkte. Da muß sich Tarifpolitik völlig neuen Problemen stellen. Es ist schon ein Gesichtspunkt, wenn Tarifpolitik dadurch Schaden nimmt, daß auch Unorganisierte davon profitieren. Denn dadurch, daß wir zulassen müssen, daß Tarifergebnisse auf Unorganisierte übertragen werden, wird der Beitritt zur „Koalition Gewerkschaft“ verhindert. Damit nimmt die Macht der Gewerkschaften ab. Interview: Barbara Dribbusch
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