: „Wir lagen vor Madagaskar...“
■ Max Schmalz war dort wo der Pfeffer wächst und hat ein kleines Buch und eine große Geschichte mitgebracht
Jetzt fliegt auch nach Madagaskar der Touristenbomber. Norddeutsche Reiseveranstalter bieten zur kalten Jahreszeit Pauschalpakete für einen halben Monatsslohn. Aber man kann auch anders reisen.
Max Schmalz hält nichts von Rücktrittsversicherungen. Viermal war der Bremer Autor und Cafe-Grün-Begründer in den vergangenen Jahren auf Madagaskar. Von der Insel kehrt er ohne Urlaubssouvenirs zurück, dafür mit einem Gedichtband. „Pefferbuch“ lautet der Titel, der sich schwarz in schwarz gedruckt auf dem schwarzen Umschlag kaum lesen läßt.
Wenn Max Schmalz im Frühjahr wieder auf die drittgrößte Insel der Welt fährt, dann wird der Grund kaum noch ein literarischer sein, aber ein für alle Mal den Rahmen der Urlaubsfotos sprengen und das Familienalbum eröffnen.
Wie er auf die Insel geraten ist? Der Blick schweift lange über den grauen Nadelfilz der penibel aufgeräumten Bremer Mansardenwohnung, ohne Ton läuft im Fernseher ein Fußballspiel. „Irgendwie hatte ich damals ein bißchen Geld übrig und wollte weit weg. Madagaskar spukte schon lange im Hinterkopf rum. Vor 20 Jahren habe ich wohl mal in einem dieser alten französischen „Guide Bleu“- Reiseführer einen Bericht über die Insel gelesen. Das hat mich alles sehr fasziniert und ist hängen geblieben. Und dann weckt ja schon der Name, der diese vielen Konsonanten, vier As in sich trägt, die seltsamsten Vorstellungen und Gerüche: Pfeffer, Vanille, überhaupt Gewürze und – Piraten. –Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord...–, das hat man noch im Ohr.“
Wer nun allerdings glaubt etwas von der faszinierenden Sinnlichkeit der fremden Insel in Max Schmalz Pfefferbuch wiederzufinden, der hat nicht mit dem Autor gerechnet. Der war zwar dort wo der Peffer wächst und ist wiedergekommen – mitteilen will er aber lieber nichts.
Im „Pefferbuch“ finden sich neben liebevollen Abbildungen von Vanillieschoten, kleinen Moskitoschwärmen und Pefferkörnern nur 19 äußerst luftig bedruckte Seiten. Zu lesen sind knappe Textfragmente und Gedichtnotizen, deren Motto weniger in Kunstprodukt als im Zen des Gedichteschmiedens zu liegen scheint. Mit dem Haiku auf Reisen. Dem Leser vermitteln sich durch diese minimalistische Weltsicht Notizen vom Flughafen bei der Ankunft: „Flugplatz/ Sainte Marie/ Ankunft/ Palmen im Wind/ Am Strand stehen viele Menschen / Die Zeit der Wale/ Regarde les baleines/ Schwarze Flossen und Wasserfontänen“ und Beobachtungen beim Abflug: „Flugplatz /Sainte Marie/ Abfahrt/ Die menschenleere Halle/ Wind weht durch offene Türen/ Trüber Sonntagnachnittag/ Draußen die weißen Gänse/ Dann regnet es heftig“. Grundstimmungen, dankbar und immergültig wie Alpenveilchen und Knäckebrot, aber könnte einem das nicht auch in Sydney oder in Cuxhaven auffallen, notfalls sogar am Bahnhof?
Warum also dieser Minimalismus, diese Ausdünnung als Form?
„Ich habe noch nicht versucht, Romane zu schreiben, es gibt nur ein paar längere Gedichte. Aber meine Form ist das hier. Es gibt ja auch Leute, die malen figürlich und Leute, die malen abstrakt. Man kann auch nur einen gelben Strich machen.“ Wer sich in Max Schmalz' Wohnung umschaut hat den Eindruck, er würde die Farbe auch noch weglassen.
Aber so glatt kommt man damit in Madagaskar nicht durch. Auf der Insel hat man von den Gesetzen der Literaturszene noch nichts gehört. Schließlich ist die rabiate ästhetische Reduktion eine der letzten künstlerischen Waffen im Nahkampf der Reizüberflutung einer Medieninformationsgesellschaft. Hier schien schon in den 70ern das Erzählen nicht mehr möglich. Von Madagaskar kann man das kaum behaupten. In Gegenteil, notfalls schreibt sich hier die Story auch ohne den Autor. Nach insistierender Befragung räumt Max Schmalz dann auch ein, daß es zwischen Ankunft und Abflug auf Madagaskar doch noch etwas gab außer regennassen Haiku-Nachmittagen: „Die Geschichte dieses Buches ist eine ganz einfache Geschichte. Ich habe vor zwei Jahren eine Frau auf Madagaskar kennengelernt, und wir haben jetzt zusammen ein Kind. Das ist die Geschichte. Dies Buch ist daraus entstanden. Die Geburt unserer Tochter. Man muß das zwar nicht wissen, das ist ja nicht so wichtig, aber für mich ist es natürlich wichtig.“ Auch jetzt wird das Geheimnis noch gehütet. Kein Bild, kein vergessenes Kinderspielzeug deuten daraufhin, daß Frau und Tochter gerade abgefahren sind und ein halbes Jahr in Bremen zu Gast waren. Aber wer ganz genau liest, dem könnte sich das Geheimnis des Max Schmalz bei der Lektüre des Gedichtbändchens lüften. Kommt doch im schönsten Peffergedicht ein schwarzhaariges Mädchen zur Welt.“Noch zwei Zentimeter meinte der Doktor/ Dann rauchte er mit der rechten Hand/ Eine Zigarette/ Und half mit der linken/ Dem Kind auf die Welt/ Und dann lag das Kind/ An der Nabelschnur/ In einem bläulichen Licht/ Schreiend auf dem Bett/ Ein Mädchen mit schwarzen Haaren/ Und heller Haut“
So sind Mutter und Tochter doch noch unsterblich in der Bremer Literaturszene geworden. Zwei Jahre nach der Ankunft des Autors auf der Pfefferinsel nennt Max Schmalz, der seinen Künstlernamen noch zu Punkzeiten erfand, seine Frauen einmal beim Namen: Für Estelline und Roxane - lautet die Widmung.
Susanne Raubold
Das in der Edition Bettina Wassmann erschienene „Pefferbuch“ von Max Schmalz kostet 25 DM.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen