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Hart, aber gerecht

■ Lutz Bertram: Identifikationsfigur für den Osten und Leitbild für viele Westkollegen

„Erstens: Halten Sie sich wacker! Zweitens: Brandenburg alle Wege! Und vergessen Sie nicht, Sie müssen heute noch einmal ganz besonders erfolgreich sein.“ Mit diesen frommen Wünschen entließ Radiomoderator Lutz Bertram seine Hörergemeinde in den Tag. Morgens immer. Nach drei Stunden „Auftakt“, dem politischen Frühmagazin im Ostdeutschen Rundfunk (ORB). Jetzt kann Bertram die Wünsche selbst bestens gebrauchen. Seitdem der selbsternannte Frühstücksdirektor zum Wochenende offenbart hat, Spitzel der Stasi gewesen zu sein, ist die ostdeutsche Medienlandschaft von einem mittleren Beben erschüttert.

Wieso? fragt sich der Berlin- Brandenburg-Unkundige irritiert. Antwort: Weil Moderator Bertram schon immer etwas Besonderes war. Skurrile Nummer einerseits, hochtalentierter Interviewer andererseits. Schräge, äußerst gewöhnungsbedürftige Stimmlage, Sätze wie mit dem Beil zerhackt und ausgespuckt, leicht hysterisches Lachen. Wenn der Frühstücksdirektor einen Prominenten befragt, schmeckt dem hernach kein Ei mehr. Politikergesülze? Bertram kichert. Er ist blind, er hört jeden falschen Ton. Und noch ehe man sich vom schrillen Gekicher erholt hat, langt Bertram nach. Gut informiert, klar, präzise. Da hilft dem Interviewten nur Farbe bekennen oder den Hörer aufknallen – was CDU-Generalsekretär Hintze getan und Alfred Dregger angedroht hat.

Doch so hart Bertram in die Weichteile seiner Gesprächspartner vorstößt, so wenig wühlt er gnadenlos darin herum. Er hat ein sensibles Gespür dafür, daß ein unfairer Moderator statt Wut eher Mitleid bei den HörerInnen erzeugt. Wer am Boden liegt, ist für Bertram kein Gegner mehr.

Für die Ostdeutschen wurde er mit seiner unnachahmlichen Art „eine Art Robin Hood, der wiedergutmacht, was ihnen widerfahren ist, und das mach' ich auch gern“ (O-Ton Bertram). Der Mann stammt aus Osterfeld, einem kleinen Ort an der ehemaligen Transitstrecke, studierte Kultur- und Musikwissenschaften und sammelte seine Hörfunkerfahrung beim DDR-Jugendsender DT64. Als er nach der Wende bei Radio Brandenburg anfing, versprach sich Bertram Spielraum für seine Arbeit und wurde mit seinem respektlosen Ton bald Kultfigur des ORB. Erst im Radio, dann auch im Fernsehen.

Für die KollegInnen des westlichen Weichspülfunks war er gleichzeitig Hoffnungsträger: Einer, der nicht nur dumm sabbelt und trotzdem Erfolg hat. Einer, der Radio macht, wie es sein sollte. Nur mit dem Robin Hood ist es jetzt vorbei. Bascha Mika

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