piwik no script img

Schneller planen, schneller fahren

Gericht muß über ökologisch umstrittene ICE-Trasse Nürnberg–München entscheiden / Kostenrechnung der Bahn zweifelhaft  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

Die Marketing-Abteilung der Deutschen Bahn AG (DB) arbeitet auf Hochtouren. Mit einer neuen Zeitschrift Bahn Tech wird die Entwicklungsarbeit für den neuen ICE, den Inter City Express, als „technologischer Quantensprung“ gefeiert. Parallel dazu wirbt die „Planungsgesellschaft Bahnbau Deutsche Einheit“ in Ausstellungen in Nürnberg, Berlin und Dresden unter dem Motto „Neue Wege für das Land – jetzt!“ für den Ausbau der umstrittenen Hochgeschwindigkeitstrasse Nürnberg– Erfurt–Berlin. „Schneller planen, schneller bauen, schneller fahren“ lautet die Philosophie.

Die Marketing-Offensive hat ihren Grund. Die geplanten ICE- Trassen sind ökologisch heftig umstritten, die Finanzierung steht in den Sternen, und in den nächsten Wochen wird der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) über eine Klage gegen die geplante Hochgeschwindigkeitstrasse Nürnberg–Ingolstadt–München entscheiden. Zuständig ist der Zwanzigste Senat, der bereits 1981 für ein anderes Jahrhundertprojekt einen Baustopp verhängt hatte: damals ging es um den Großflughafen München. Solche Urteile wiederholen sich nicht automatisch. Doch die Deutsche Bahn AG hat keinen Grund, allzu optimistisch zu sein.

Der Bund Naturschutz in Bayern (BN) als Kläger führt die fehlende Umweltverträglichkeitsprüfung ins Feld und damit einen Verstoß gegen das EU-Recht. Genau dies war für das Oberverwaltungsgericht Koblenz Ende Dezember der Grund gewesen, ein Teilstück der Eifel-Autobahn zu stoppen. Die Naturschützer wollen mit ihrer Klage zudem die Praxis, daß sich die Bahn nach dem neuen Bundesschienenwege-Ausbaugesetz ihre Pläne letztendlich selbst genehmigen darf, grundsätzlich juristisch prüfen lassen.

Zuvorderst führen sie aber ins Feld, daß weder die Notwendigkeit noch die Finanzierung und die Wirtschaftlichkeit der Neubaustrecke über Ingolstadt nachgewiesen sind. Im Gegenteil, man wirft der DB ein Spiel mit falschen Zahlen vor – und weiß dabei den Bundesrechnungshof hinter sich. Der hatte in seinen Gutachten haarklein vorgerechnet, daß die Bahn die Kosten für die Trasse über Ingolstadt heruntergerechnet, die Alternativstrecke über Augsburg aber künstlich verteuert habe. Die von der Bahn favorisierte Ingolstädter Trasse sei zwar im Vergleich zu der von Naturschützern bevorzugten Augsburger Variante acht Minuten schneller, aber auch 1,7 Milliarden Mark teurer. Die DB hatte die Differenz auf nur 280 Millionen Mark beziffert.

Inzwischen hat sich herausgestellt, daß die Kosten schneller steigen, als der ICE fährt. Die Bundesregierung gab nach einer parlamentarischen Anfrage zu, daß die Ausgaben für die Trasse inzwischen auf vier Milliarden Mark geschätzt werden. 1990 ging man noch von 3,1 Milliarden aus. „Bei zehn Jahren Bauzeit werden sich die Ausgaben wohl noch auf 8 Milliarden Mark verdoppeln“, vermutet der BN- Landesbeauftragte Hubert Weiger, und die Erfahrung gibt ihm recht: 1975 wurde für die Neubaustrecke Mannheim–Stuttgart mit 2,5 Milliarden Mark gerechnet, jetzt geht man von 4,4 Milliarden aus.

Um die Kosten für die Ingolstädter Variante nach unten zu drücken, will die Bahn auf die sündhaft teure Untertunnelung des Köschinger Forsts verzichten. Die hatte aber das bayerische Landesamt für Umweltschutz verlangt. Einzig unter der Prämisse dieses 200 Millionen Mark teuren Tunnels hatte das bayerische Umweltministerium die von der Bahn favorisierte Trassenführung positiv beurteilt und das Raumordnungsverfahren abgeschlossen. Das bayerische Umweltministerium scheint in dieser Frage bereits eingeknickt zu sein. In den Unterlagen für das im Sommer 1995 anstehende Planfeststellungsverfahren ist aber vom Tunnel keine Rede mehr. Die Beamten weigern sich, im Schriftsatz an das Verwaltungsgericht die Alternativtrasse über Augsburg überhaupt noch in Erwägung zu ziehen. Die Bahn sei Projektträgerin und entscheide als solche allein über den Gegenstand der raumordnerischen Prüfungen.

Angesichts der rasant gestiegenen Kosten will der Bund Naturschutz die Augsburger Variante wieder ins Spiel bringen. Deshalb will Richard Mergner, Verkehrsexperte des BN, von den Verwaltungsrichtern auch die Frage klären lassen, ob der Bundestag, wie beim gesamtdeutschen Verkehrswegeplan geschehen, nach einer zweieinhalbstündigen Sitzung so genau über die Verkehrsführung entscheiden kann, so daß im Verfahren eine Alternative gar nicht mehr erwogen werden müsse.

Unbeeindruckt davon behauptet Gerhard Scheuber, Pressesprecher der Bahnzentrale in Frankfurt, steif und fest: „Der Verkehr der Zukunft fließt über Ingolstadt.“ Anfang Dezember startete deshalb die DB zusammen mit der Stadt Ingolstadt eine Werbekampagne, um die Fakten zu schaffen, mit denen die Bahn bereits jetzt wirbt: steigende Fahrgastzahlen über Ingolstadt. „Die Bahn ist IN – in Ingolstadt“ lautet das Motto einer Infobroschüre, die an alle Haushalte verteilt wurde. Die Kampagne scheint für die Bahn bitter notwendig. Schließlich hat sie mangels Nachfrage bereits 7 der einst 17 Intercity-Anschlüsse aus dem Fahrplan gestrichen. Seit 1991 verzeichnet man in Ingolstadt Umsatzeinbrüche um bis zu 5 Prozent.

Vorsorglich hat man Ingolstadt den zukünftigen Halt des Hochgeschwindigkeitszuges nur für drei Jahre zugesichert. „Dann entscheidet die Nachfrage der Kunden“, betont Dieter Felgentreu, Marketingleiter der Bahn AG in München. „Wir sind zur Aktivität verurteilt“, begründet Ingolstadts Oberbürgermeister Peter Schnell die Werbekampagne, um Ingolstadt als ICE-Station zu erhalten. Denn leicht könnte das Aberwitzige zur Realität werden: Der ICE könnte auf der gegen ökologische und ökonomische Bedenken durchgeboxten Hochgeschwindigkeitstrasse über Ingolstadt von Nürnberg nach München brausen – ohne Halt in der Audi-Stadt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen