: Laßt uns den Passus wieder streichen
■ Streit um den DDR-Passus im EU-Menschenrechtsbericht
Brüssel (taz) – Die Empörung der konservativen Politiker in Bonn und Straßburg gegen einen Passus im Menschrechtsbericht des Europäischen Parlaments, der die juristische Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit als Verstoß gegen das Völkerrecht betrachtet, soll in Wirklichkeit den ganzen Bericht zu Fall bringen. Die Abgeordneten der Europäischen Volkspartei haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß ihnen die ganze Richtung nicht paßt. Ihrer Ansicht nach gibt es in der Europäischen Union (EU) allenfalls bedauerliche Einzelfälle, aber keine Menschenrechtsverletzungen.
Die grüne Europaabgeordnete Claudia Roth erinnerte gestern daran, daß der Bericht zum ersten Mal Armut als Verletzung der Menschenrechte brandmarkt. Außerdem kritisiert er die Einschränkungen des Asylrechts und die menschenverachtende Abschiebepraxis in den EU-Mitgliedsländern. Für die Mehrheit der konservativen Abgeordneten Grund genug, nach einer Möglichkeit zu suchen, die Verabschiedung des Berichtes, der schon mehrfach aufgeschoben wurde, zu kippen.
Der unselige Änderungsantrag 82 des italienischen Abgeordneten Lucio Manisco, ehemals Kommunistische Partei, jetzt Vereinigte Linke, war in der Diskussion im Innenausschuß durchgerutscht, räumt Claudia Roth ein. Er sei unsinnig und auch juristisch in sich widersprüchlich. Die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit sei Sache des deutschen Parlaments und nicht des europäischen. Aber es sei auch kein Problem, den umstrittenen Passus vor der Verabschiedung im Europaparlament wieder zu streichen. Dafür gebe es beispielsweise die Möglichkeit getrennter Abstimmungen über die einzelnen Artikel des Berichts. Die Grüne Abgeordnete Irene Soltwedel-Schäfer, die an dem Mißgeschick beteiligt war, sieht keine Schwierigkeit, den Fauxpas rückgängig zu machen: „Dafür kriegen wir die Mehrheit ganz locker.“
Wenn es der konservativen Fraktion wirklich um diesen Punkt gegangen wäre, hätte sie im Innenausschuß eine Diskussion vom Zaun brechen können. Statt dessen aber hielt sie sich zurück, versteckte sich fast fünf Stunden lang hinter seltsamen Anträgen der französischen Rechtsextremen, die unter anderem eine Wiedereinführung der Todesstrafe forderten und brachte keinen einzigen eigenen Änderungsantrag ein. Erst im nachhinein zettelten die Abgeordneten eine breitangelegte Kampagne an, so Irene Soltwedel-Schäfer, offensichtlich mit dem Ziel, den Menschenrechtsbericht, der von dem britischen Abgeordneten Edward Newman ausgearbeitet wurde, zu blockieren.
Das Votum des Innenausschusses gilt als Empfehlung an das Parlament, das den Menschenrechtsbericht im Februar behandeln wird. „Es geht um nicht weniger als um die Glaubwürdigkeit des Parlaments“, beschwört Claudia Roth die Abgeordneten. Doch auch wenn ihm zugestimmt wird, der Bericht hat keine juristischen Konsequenzen. Alois Berger
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