: Kein Schiffbruch für Billigkähne
Bundesverfassungsgericht bestätigt „Zweitregister“ für ausländische Seeleute auf deutschen Schiffen / Trotz Knebelverträgen das kleinere Übel ■ Von Bernhard Pötter
Auch in Zukunft werden Seelenverkäufer unter deutscher Flagge auf den Meeren unterwegs sein: Das „Zweitregister“, mit dem deutsche Reedereien auf deutschen Schiffen ausländische Mannschaften zu den Niedriglöhnen ihrer jeweiligen Heimatländer beschäftigen können, ist im wesentlichen mit dem Grundgesetz vereinbar. Das entschied gestern das Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe. Die Richter wiesen damit die Verfassungsbeschwerde der Gewerkschaften ÖTV und DAG und eine Normenkontrollklage der Länder Bremen und Schleswig-Holstein zurück.
In den Augen der Karlsruher RichterInnen dient das Zweitregister, das von Gewerkschaften als „Gefahr für die Sicherheit der Schiffahrt“, „faktisches Berufsverbot für deutsche Seeleute“ und „menschenfeindliche Praktik“ geächtet wird, genau dem gegenteiligen Zweck: der „Sicherheit des Schiffsverkehrs“, der „Sicherung qualifizierter Arbeitsplätze“ und der „Menschenwürde der Seeleute“. Das „Internationale Seeschiffahrtsregister“, wie das Zweitregister offiziell heißt, war 1989 eingerichtet worden, um das Abdriften deutscher Schiffe unter die Flagge von Billiglohnländern wie Zypern oder Liberia zu verhindern.
Die Kläger hatten die Regelung kritisiert, weil das „Ausflaggen“ der Schiffe ungebremst weitergehe und die Gewerkschaftsarbeit auf Zweitregisterschiffen ebenso abschaffe wie den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Dem widersprach jetzt das BVG: Die Koalitionsfreiheit sei „im wesentlichen gewahrt“. Zwar beeinträchtige die „Closed-shop“-Regelung, mit der ein Arbeitgeber nur Matrosen einer bestimmten Gewerkschaft des Heimatlandes anheuern kann, die Arbeit der Gewerkschaften. Doch „angesichts der besonderen Bedingungen der internationalen Handelsschifffahrt“ sei die „Beeinträchtigung von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden“. Das Zweitregister sei das kleinere Übel, entschied das Bundesverfassungsgericht: Entweder gebe es geminderte Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften oder – im Falle des Ausflaggens – überhaupt keine. „Menschenwürde und Handlungsfreiheit der Seeleute mit ausländischem Wohnsitz bleiben gewahrt. Der Gesetzgeber braucht grundsätzlich nicht in Rechnung zu stellen, daß fremde Rechtsordnungen möglicherweise ausbeuterische Vertragsgestaltungen zulassen. Dazu gibt es im übrigen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte“, erklärte das oberste deutsche Gericht lapidar.
Die Gewerkschaften sind da ganz anderer Meinung: Immerhin verdiene ein philippinischer Seemann 300 Dollar im Monat für eine Arbeit, die sein deutscher Kollege mit 3.000 Mark bezahlt bekomme. Nach einem Jahr auf See habe ein Seemann nach deutschem Recht Anspruch auf vier bis fünf Monate Urlaub – ausländische Matrosen dagegen, wenn überhaupt, auf nur vierzehn Tage bis vier Wochen. In einem bekanntgewordenen Arbeitsvertrag einer Lübecker Reederei mit indischen Seeleuten verpflichten sich diese, „in den ersten sechs Monaten keine Heuer“ anzunehmen und danach nur den Teil, den „ich vernünftigerweise brauche“. Außerdem „werde ich während der ersten sechs Monate das Schiff nicht verlassen und keinen Landgang nehmen“, heißt es in dem Vertrag weiter. „Nach Ablauf der sechs Wochen steht es völlig im Ermessen des Besitzers des Schiffes, uns Landgang zu gestatten. Ich versichere, daß ich von dem Schiff nicht fliehen werde.“
Nur in einem Punkt fand das Verfassungsgericht die Zweitregisterregelung mit dem Grundgesetz unvereinbar: Wenn ausländische Seeleute Mitglieder deutscher Gewerkschaften seien, müßten für diese auch die deutschen Tarifbestimmungen gelten. Für die Gewerkschaften kein Trost. Denn die Matrosen verpflichten sich in den Billigverträgen ausdrücklich dazu, „sich an Bord an keinerlei gewerkschaftlicher Aktivität zu beteiligen“.
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