: Der Adler von Almaty
Dionis Wodnew, fünffacher Sowjet-Meister im Skispringen, hofft auf Asyl in Deutschland ■ Aus Reutlingen Hete Henning
„Ich war die Nummer eins in der ganzen Sowjetunion“ – Dionis Wodnew, 23 Jahre alt und von Beruf Skispringer, hat mit falscher Bescheidenheit nichts an der Mütze. In seiner kasachischen Heimat hat er es tatsächlich weit gebracht: fünfmal Sowjet-Meister, fünf Jahre lang Mitglied im olympischen Kader. 1993 bei der Weltmeisterschaft in Falun sprang Wodnew auf Platz elf, im Jahr zuvor, beim Weltcup in Schweden, landete er auf dem fünften Rang. Daß es kurz vorher bei den Olympischen Winterspielen in Albertville „nicht ganz so gut“ klappte und auf Normal- und Großschanze nur Plätze in den Zwanzigern raussprangen, lag – Wodnew zufolge – am Trainer: „Der war ein bißchen verrückt. Der wollte mir zehn Tage vorher den V-Stil beibringen.“
Dionis Wodnew, geboren in Almaty (früher Alma Ata), dort, wo die Mongolei und China praktisch vor der Haustür liegen, hat jetzt erst mal Reisepause. Seit er sich vor einem Jahr bei der Vierschanzentournee abgesetzt und in Deutschland Asyl beantragt hat, sitzt er fest. In einem Asylbewerberlager in Reutlingen wartet er mit seiner Frau auf den Ausgang des Verfahrens. Sein Antrag war im Februar prompt abgelehnt worden, er klagte gegen den Bescheid. Jetzt ist der Fall beim Sigmaringer Verwaltungsgericht „anhängig“. Das kann dauern.
Daß Wodnew nicht irgendwer ist, haben die Behörden allerdings schnell erkannt. Eine Sondergenehmigung ermöglicht es dem jungen Mann, täglich auf die Schwäbische Alb nach Meßstetten zu fahren, wo sich praktischerweise ein Ski-Leistungszentrum mit Schanze befindet. Unterstützt vom Ski- Verein Meßstetten haben sich erste Erfolge des prominenten Neuzugangs schon eingestellt. Bei einem kleinen Weihnachtsspringen in Scheidegg überflügelte er die gesamte Konkurrenz, vielversprechend war auch sein Sieg am vergangenen Wochenende in Degenfeld. Dieses Wochenende steht nun die Deutsche Meisterschaft in Schonach an. Dort aber darf Wodnew nach Beschluß der Mannschaftsführer sämtlicher Landesverbände höchstens als Vorspringer starten. Markus Kuhn vom Schwäbischen Ski-Verband findet diese Interpretation der Wettkampfordnung zwar ärgerlich, aber nachvollziehbar: „Wir wollen natürlich bei einer nationalen Meisterschaft keinen Meister haben, der kein Deutscher ist.“
Nun ist es aber keineswegs so, daß der Schwäbische Ski-Verband dem Asylbewerber abgeneigt wäre. Im Gegenteil: „Wir haben vor, daß Wodnew, sobald der Bescheid aus Sigmaringen da ist, in die Mannschaft der baden-württembergischen Skiverbände aufgenommen wird“, hofft Kuhn. 23 sei schließlich kein Alter für einen Skispringer, da könne man noch einiges an Leistung rausholen. Für seinen Verband wäre es jedenfalls „ein besonderer Genuß“, wenn der Adler aus Almaty die traditionelle Überlegenheit der Schwarzwälder Konkurrenz ein wenig ins Wanken bringen könnte. Und letztlich, hält Kuhn nicht hinterm Berg, geht's auch ums Geld: Je mehr Punkte in der Bewertung, desto mehr Kohle kriegt der Verband für die Talentförderung.
Wodnew lassen derartige Erwägungen derweil ziemlich kalt. Einerseits will er vor allem springen und dabei möglichst selber entscheiden, was gut für ihn ist. Daß er zur Zeit von seinem Schwiegervater Alex Jurow trainiert wird, der als gelernter Wasserballtrainer und enteigneter Schuhfabrikant jetzt ebenfalls in Reutlingen lebt, sei besser als nichts: „Er kann es“, meint Wodnew fein lächelnd. „Zwar nicht gut, aber was soll ich machen?“ Außerdem, bemerkt er, sei er Trainerlosigkeit gewöhnt: „Meine Stellung im Sport war so groß, daß mir niemand helfen konnte“, und „unterschiedliche Auffassungen“ ließen ihn während der letzten beiden Jahre in Kasachstan schließlich allein abheben. „Skispringer sind Individualisten – der Trainer soll auf dem Platz stehen und gucken“, stellt er klar und kommt kurz ins Schwärmen. „Ich fliege, ich empfinde. Ich alleine, meine Ski und die Schanze ...“
Andererseits ist Wodnew daran gelegen, in Deutschland zu bleiben und nach Meßstetten umziehen zu dürfen. In Kasachstan, das bestätigen auch amnesty international und das Auswärtige Amt, werden ethnische Gruppen wie beispielsweise die Russen (und Wodnew ist Russe) zunehmend diskriminiert. „Wir werden zu Menschen zweiter Kategorie gemacht.“ Seine ebenfalls russische Frau darf, wie auch die Schwiegermutter, ihren Lehrberuf an der Musikhochschule nicht länger ausüben, da sie die forciert eingeführte Staatssprache, das Kasachische, nicht beherrscht. Daß er sich von der Sportler- Truppe abgesetzt hat, wird nach Ansicht seines Anwalts wahrscheinlich als Fahnenflucht gewertet. Im Mai 1994 wurde Wodnew schließlich die kasachische Staatsbürgerschaft entzogen: Wodnew war schon in Deutschland, als die Frist für die Unterzeichnung eines per Gesetz geforderten Bekenntnisses zur Staatsbürgerschaft ablief. „Ich bin staatenlos“, sagt Wodnew und lächelt. „Nach Kasachstan kann ich nicht zurück – ich habe dort kein Haus mehr, keine Arbeit.“
Falls Sigmaringen negativ entscheide, werde man „weiterdenken“, ist der 23jährige zuversichtlich. Bis dahin wird er die Unbilden des Lagerlebens wohl noch eine Weile in Kauf nehmen müssen: Streit mit anderen Bewohnern, Schmutz, Lärm bis in die späte Nacht. „Die Leute hier haben zuviel Freizeit.“ Die Malerarbeiten im Lager werden ihm mit zwei Mark pro Stunde vergolten.
Daß der Überflieger, trotz aller Privilegien, nach seiner Landung in Deutschland erst mal auf dem harten Boden der Tatsachen angekommen ist, zeigt ihm nicht nur der Anti-Asyl-Aufkleber der NPD, der am Stahltor des Lagers klebt. In der Dusche zieht es, erzählt er, und nun fühlt er sich ein bißchen krank.
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